Der "Codex Alexandrinus" (A)

Eine wertvolle Vollbibel aus dem 5. Jahrhundert


Einleitung

Das Britische Museum in London besitzt einen wertvollen alten Bibelkodex, den "Codex Alexandrinus".

Es ist eine Vollbibel aus dem 5. Jh. n.Chr., die auch die Clemensbrief enthält.

Der Kodex ist seit 1647 im Besitz der englischen Krone. Fotos: www.csntm.org

Im Britischen Museum in London ist neben dem berühmten "Codex Sinaiticus" eine weitere wertvoller Rarität zu bewundern, der "Codex Alexandrinus". Er stammt aus dem 5. Jh und enthält, abgesehen von einigen Verstümmelungen, das ganze Alte Testament und den größten Teil des Neuen Testaments.

Im Neuen Testament ist Matthäus 1,1-25,6 durch Beschädigung verlorengegangen, desgleichen Johannes 6,50-8,52 (wo jedoch die Seitenzählung beweist, daß die Perikope der Ehebrecherin nicht zum Text gehörte) und 2. Kor. 4,13-12,6.

Die beiden nicht kanonischen Clemensbriefe stehen am Schluß hinter den kanonischen Büchern; doch sind 1. Clemens 57,7-63,4 und 2. Clemens 12,5 bis Schluß verlorengegangen, ebenso die Peseudoepigraphen "Psalmen Salomos", die nach dem Inhaltsverzeichnis am Anfang in einem Anhang vorhanden waren. Ihr Titel ist in dem Verzeichnis von dem der kanonischen Bücher durch einen kleinen Zwischenraum getrennt.

Die Handschrift besteht aus 77,3 Blättern (AT 630, NT 143); 10 Blätter vom Alten Testament und wahrscheinlich 37 vom Neuen sind verlorengegangen, so daß es ursprünglich 820 Blätter gewesen sein müssen. Sie sind in den Maßen 32x27 cm mit je zwei Spalten auf der Seite. Die Lagen bestanden (bevor das Buch seinen jetzigen Einband erhielt) aus je 8 Blättern, wie aus der Nummerierung der Lagen mit griechischen Buchstaben hervorgeht. Die Anfangsbuchstaben der Abschnitte sind in besonderer Größe ausgeführt und stehen am Rande.



Die Schreiber des Kodex

In der Einleitung zu der verkleinerten Faksimile-Ausgabe des neutestamentlichen Teiles der Handschrift vertritt Sir Frederic Kenyon die Auffassung, daß fünf Schreiber am Kodex gearbeitet hätten, von denen drei für das Neue Testament verantwortlich sind.

Milne und Skeat (Scribes and Correctors of the Codex Sinaiticus, S. 91-93) sind jedoch der Meinung, daß nur zwei Schreiber im Alten Testament vertreten sind, von denen der erste wiederum das gesamte Neue Testament schrieb, jedoch möglicherweise mit Ausnahme von Lukas 1,1 bis 1. Kor. 10,8, das von einem dritten Schreiber stammen könnte.

Die Clemens-Briefe wurden von dem zweiten Schreiber des Alten Testaments geschrieben (s.o. S. 42) Mehrere Korrektoren haben Anmerkungen in der Handschrift gemacht; von diesen sind neben den Verbesserungen der ursprünglichen Abschreiber (A1) am wichtigsten die von Aa, der mit der Handschrift ungefähr gleichzeitig ist.



Entstehungszeit

Die Handschrift enthält nicht nur die Sektionen und Canones des Eusebius, sondern auch (als Einleitung in den Psalter) Traktate von Eusebius und Athanasius. Da der letztere erst 373 n.Chr. gestorben ist, so ist eine Ansetzung der Handschrift vor dem Ende des 4. Jh.s unmöglich.

Ebenso stellt auch die Schrift einen späteren Typus dar als die des Vaticanus und des Sinaiticus. Sie ist schwerer und fester und zeigt weniger den Einfluß der Papyrusschrift.

Die Anordnung in zwei Spalten (die von da an die gebräuchliche für Unzialhandschriften ist) weist ebenfalls auf ein späteres Stadium hin als die vier Spalten des Sinaiticus oder die drei des Vaticanus. Im ganzen dürfte die erste Hälfte des 5. Jh.s das wahrscheinlichste Datum sein.



Entstehungsort

Was den Entstehungsort betrifft, so weist alles auf Ägypten hin. Eine Notiz des Patriarchen Cyrill sagt, daß das Buch nach der Überlieferung von Thekla, einer vornehmen ägyptischen Dame, kurz nach der Synode von Nicea (325 n. Chr.) geschrieben worden sei und daß ihr Name ursprünglich in einer Notiz am Ende des Bandes (das jetzt durch Beschädigung verlorengegangen ist) gestanden habe. Das angegebene Datum ist sicher zu früh, doch weist diese Tradition nach Ägypten. Die koptischen Formen von "alpha" und "my" kommen in den Überschriften einiger Bücher vor, und im AT scheint der Text durchweg den alexandrinischen Typus darzustellen. Im NT ist er ebenfalls alexandrinisch (d. h. verwandt mit dem Vaticanus und dem Sinaiticus), außer in den Evangelien, wo sich Einflüsse der antiochenischen Revision zeigen, aus der später der allgemeine kirchliche Text hervorging.

Eine arabische Notiz, die von Athanasius dem Demütigen (gestorben etwa 1316) unterzeichnet ist, bestätigt, daß die Handschrift dem Patriarchat von Alexandria gegeben wurde, obwohl es wahrscheinlich ist, daß Athanasius sie in Konstantinopel erwarb, wo er mehrere Jahre im kaiserlichen Dienst zubrachte.

Die moderne Geschichte der Handschrift beginnt mit ihrer Rückführung nach Konstantinopel durch Cyrill Lukar, der vor seiner Versetzung nach Konstantinopel im Jahre 1621 Patriarch von Alexandria war. Cyrill bot sie dem britischen Gesandten Sir Thomas Roe als Geschenk für Jakob I. an; aber als sie schließlich 1627 in England ankam, war Karl I. auf dem Thron, und der Einband, den sie damals erhielt, trägt die Initialen C. R. Im Jahr 1757 wanderte sie mit den anderen Büchern der königlichen Bibliothek in das damals neugegründete Britische Museum.



Anstoß zur Textkritik

Das Eintreffen des Codex Alexandrinus in England im Jahr 1627 gab - 16 Jahre nach der Herausgabe der Authorized Version - den ersten Anstoß zur Textkritik des griechischen Neuen Testaments.

Patrick Young veröffentlichte 1633 die bis dahin unbekannten Clemensbriefe.

Lesarten des neutestamentlichen Textes des Kodex Alexandrinus wurden 1657 von Walton in seine Polyglottenbibel aufgenommen.

1707 veröffentliche John Mill seine Ausgabe des Neuen Testaments, das er mit großer Unterstützung von John Fell in Angriff genommen hatte, seinem Vorgänger im Feld der Textkritik des Neuen Testaments. Die Fertigstellung dauerte 30 Jahre. Der Text der Ausgabe entspricht dem Textus receptus der Editio Regia von Robert Estienne aus dem Jahr 1550, jedoch enthält er viele Bemerkungen, einschließlich aller vorher existierenden Sammlungen verschiedener Lesarten sowie eine große Anzahl zusätzlicher Lesarten, die er bei der Untersuchung weiterer Handschriften selbst zusammengetragen hatte.



Textausgaben

Das Alte Testament des "Codex Alexandrinus" wurde vollständig 1707-20 von Grabe herausgegeben, das Neue Testament 1786 in Majuskeln von Woide, und später noch einmal 1860 von B. H. Cowper.

1816 bis 1828 gab Baber das Alte Testament in Faksimiledruck heraus, und 1879-83 erschien ein vollständiges photographisches Faksimile von E. Maunde Thompson.

Später (1909) veröffentliche F.G. Kenyon ein gekürztes photographisches Faksimile des Neuen Testaments, zu dem er auch die Einleitung schrieb. Drei Teile des Alten Testaments, die im einzelnen den Oktateuch, Könige bis Chronik und die Propheten mit Esther, Tobit und Judith enthalten, ließ Kenyon in den Jahren 1915-36 folgen.



Textwert

Der Text ist von unterschiedlichem Wert, weil für die verschiedenen Textgruppen verschiedenartige Vorlagen verwendet wurden.

Der Textwert ist niedrig in den Evangelien,

hoch in den übrigen Schriften des Neuen Testaments,

am höchsten in der Offenbarung. Hier ist er mit dem vom "Codex Ephraemi" (ca. 450 n.Chr.) zusammen mit p47 (Chester Beatty, 3. Jh., Inhalt Offb 9,10-17,2) dem "Codex Sinaiticus" deutlich überlegen.


Literatur

Kurt Aland / Barbara Aland, Der Text des Neuen Testaments, Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 1989, 2. ergänzte und erweiterte Auflage

Frederic G. Kenyon, Der Text der griechischen Bibel, Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht, 1961, 2. Auflage überarbeitet und ergänzt von A.W. Adams

Bruce M. Metzger, Der Text des Neuen Testaments, Einführung in die neutestamentliche Textkritik, Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag, 1966



Abbildung

Grafik des Codex Alexandrinus s/w © Earlham
Liste der Manuskripte - des Codex Alexandrinus © www.csntm.org
Hochauflösende Grafiken des Codex Alexandrinus © www.csntm.org



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