Heiligung der Gerechtfertigten


von Lienhard Pflaum [ 1 ]

Der reformatorische Durchbruch Martin Luthers

Luther war tief bewegt von der Frage: Wie kann ich vor Gott bestehen, vor Gott gerecht sein? Und: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Luther mühte sich und quälte sich ab, fastete und kasteite sich. Vergeblich. Er fand keine Gewißheit, keinen Frieden. Denn der von Gott abgefallene, durch die Macht der Sünde von seinem Schöpfer getrennte Mensch kann vor Gott nicht bestehen. Spätestens bei dem letzten Weltgericht muß jeder Mensch, der nicht durch Jesus erlöst und errettet wurde, vor dem ewigen Gott zur Rechenschaft erscheinen.

Doch Gott will nicht, daß wir verloren gehen, sondern vor ihm bestehen können. Darum sandte er seinen ewigen Sohn, Jesus Christus. Er ließ ihn Mensch werden. Am Kreuz auf Golgatha hat er für uns das Gericht erduldet. Im Feuer des Leidens und Sterbens hat er unsere Sünde auf sich genommen und die Macht von Sünde, Tod und Teufel gebrochen. Im Glauben dürfen wir diese Erlösung ergreifen.

Luther erlebte diesen Durchbruch zum gnädigen und barmherzigen Gott, als er im ersten Kapitel des Römerbriefs erkannte, daß Paulus hier nicht von der richtenden Gerechtigkeit schrieb, sondern von der Gerechtigkeit, die Gott in Jesus ohne Verdienst aus Gnade schenkt. Im Glauben wird sie empfangen. Auf diesem Weg wurde Luther von Gott gerechtfertigt. Es war ihm, als öffneten sich die verschlossenen Tore des Paradieses. Jetzt war er als Gerechtfertigter auch frei und konnte nun den Weg der Heiligung gehen. Nicht sein eigenes Heiligungsstreben führte zur Rechtfertigung, sondern Gottes Rechtfertigung aus Gnade ermöglichte erst die Heiligung und die Nachfolge Jesu Christi.

Dies gilt auch uns heute. Gehören wir durch Jesus Christus dem heiligen Gott an, dann sind wir "Heilige". So nennt der Apostel Paulus in seinen Briefen die Glieder der Gemeinden und damit auch uns heute, die wir Jesus angehören. "Heilig" bezeichnet nicht eine aus Verdienst erworbene Qualität, sondern eine Zugehörigkeit. Doch soll die Zugehörigkeit zu Jesus Christus und dem heiligen Gott fortan unser Leben in der Nachfolge bestimmen und prägen. Das nennen wir "evangelisch", nämlich durch das Evangelium zur Nachfolge berufen und zur Heiligung befähigt.

Ist dieses geistliche Erbe der Reformation unter uns noch lebendig? Was sagt uns Gottes Wort Näheres über die Heiligung?



Die biblische Heiliguing

Sie ist der Weg des ersten Gebots: "Du sollst keine anderen Götter haben neben mir" (2. Mose 20,3). Martin Luther erklärte im "Kleinen Katechismus" die ses Grundgebot mit dem einen Satz: "Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen." Ein Liederdichter faßte es in das Gelöbnis: "Jesus nur allein, sei das Losungswort! Nein, von meinem Heiland geh ich nicht mehr fort." Allein Gott! Allein Jesus Christus!

Heiligung ist also die Ausgestaltung unseres alltäglichen Lebens in Christus nach den Ordnungen des Wortes Gottes, nämlich die Öffnung des eigenen Lebens für den Herrschaftsanspruch Jesu Christi in allen Lebensbereichen. Dies geschieht jedoch nicht durch Anstrengungen des Gläubigen, sondern durch die Gnade und Kraft Gottes.



1. Die Notwendigkeit der Heiligung

Gottes Wort weist uns darauf hin: "Jaget dem Frieden nach gegen jedermann und der Heiligung, ohne die den Herrn sehen wird" (Hebr. 12,14). Es ist ein ernster Aufruf. Denn es geht um das Ziel unserer Nachfolge, die mit Bekehrung und Wiedergeburt beginnt.

Der Apostel Johannes zeigt uns dieses Ziel (1.Joh 3 1-2): "Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, daß wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch! Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm [dem verherrlichten Jesus] gleich sein und ihn sehen, wie er ist:" Johannes fährt dann fort: "Und ein jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat. der reinigt sich, wie auch er rein ist." Heiligung ist also notwendig. Heiligung aus Dankbarkeit und Liebe zu Gott und zu seinem Sohn Jesus Christus.

Die Heiligung ist bis an unser Lebensende nötig. Vollendet werden wir erst bei der Wiederkunft Jesu Christi.



2. Die Kraft der Heiligung

Jesus betete vor seinem Sterben: "Ich bitte für sie [die Jünger], heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit. Ich heilige mich selbst für sie, auf daß auch sie geheiligt seien in der Wahrheit" (Joh 17, 9.17.19).

Darum geben wir in unserem Leben Jesus Raum durch Glauben, Gehorsam gegen sein Wort und im Ge

bet. "Durch Gott aber seid ihr in Jesus Christus, welcher uns gemacht ist von Gott zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, auf daß, wie geschrieben steht: Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn" (1. Kor 1, 30.31).

Kann Jesus durch den Glauben in uns wohnen, dann kann er sich in uns ausprägen. Wie rang der Apostel Paulus um die Galater, die durch ein anderes Evangelium aus der Gnade Gottes gefallen und der Werkgerechtigkeit verfallen waren. Sie sollten im Glauben die Gnade wieder ergreifen, damit in ihnen Christus wieder wohne und in ihnen Gestalt gewönne (Gal 4, 19). Wohnt er durch seinen Geist und sein Wort in uns, dann kann er uns mit seiner Gnade und Kraft so prägen, wie es Gerhard Tersteegen ausspricht: "Im Wort, im Werk und allem Wesen sei Jesus und sonst nichts zu lesen."



3. Das ernste Wort Jesu Christi an die Gemeinde in Laodicea

Das letzte der sieben Sendschreiben der Offenbarung ist an die Gemeinde in Laodicea gerichtet. In der heilsgeschichtlichen Auslegung dieser Botschaften des Herrn an die Gemeinden aller Zeiten weisen das sechste und siebte Schreiben auf die beiden Möglichkeiten der Gemeinde in der letzten Zeit hin. Philadelphia bleibt jesus treu und er

wartet den wiederkommenden Herrn. In Laodicea läuft das Gemeindeleben geradezu vorbildlich, ja perfekt. Gelungener Ge meindeaufbau? Doch das Entscheidende fehlt: Jesus steht draußen vor der Tür. Gemeinde ohne Heiligung! Doch der Herr gibt in seiner Liebe noch eine Chance: "Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. So jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich eingehen und Abendmahl mit ihm halten und er mit mir" (Offb 3,19.20).

Auch uns gibt der Herr eine solche Möglichkeit. In der Erweckungszeit in Deutschland wurden manche durch Gottes Wort und Geist innerlich erweckt und gemahnt, Jesus ihr Leben zu öffnen. In einem Lied jener Zeit sang man: "Horch, es klopfet! Hör es doch! Immer steht er draußen noch! O, dein Heiland ist's voll Gnaden, der da klopft an deine Tür."



4. Der Kampf des Glaubens

Der Apostel Paulus schrieb am Ende seines Lebens Timotheus, seinem engen Mitarbeiter: "Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe Glauben gehalten, ich habe den Lauf vollendet; hinfort ist mir bereit die Krone der Gerechtigkeit" (2.Tim 4,8). Er meinte nicht nur den Kampf für das Evangelium, sondern auch das innere Ringen in dem, was er im Römerbrief Kapitel 7 und 8 darlegte, die Heiligung. Es ist auch das Überwinden, Obsiegen in den sieben Sendschreiben, zu

dem der auferstandene Herr jede Gemeinde und jeden Jünger aufruft. Dieser Glaubenskampf endet erst mit dem irdischen Leben. Erst dann, vorher nicht. Doch dem Überwinder ist die herrliche Verheißung gegeben: "Wer überwindet, der wird es alles ererben, und ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein" (Offb. 21,7).

Zum Überwinden: Die Väter der Reformation nannten, besonders in ihren Katechismen, drei Feinde, die uns in der Nachfolge entgegenstehen.

Den Teufel. "Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Dem widersteht fest im Glauben" (1. Petr 5,8-9).

Die Welt. "Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist. So jemand die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters. Die Welt vergeht mit ihrer Lust; wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit (1. Joh 2,15.17).

Das eigene Fleisch. "Des Fleisches Lust, der Augen Lust und der Hochmut des Lebens ist nicht vom Vater, sondern von der Welt" (1. Joh 2,16). Es ist das von Gott gelöste Ich-Leben, das wir nicht in die Ewigkeit mit hinübernehmen können. Zum Ich-Leben zählt manches wie unsere Selbstgerechtigkeit, Selbstverwirklichung, Ehrsucht. Paulus zählt in Galater 5, 18-21 solche "Werke des Fleisches" auf.

Wie können wir überwinden? Die Glaubensväter der Reformation und des Pietismus antworteten (beispielsweise im Heidelberger Katechismus): "Der Herr erhalte und stärke uns durch die Kraft des Heiligen Geistes, damit wir in diesem geistlichen Streit nicht unterliegen, sondern kräftigen Widerstand leisten können, bis wir einst den völligen Sieg davon tragen." Im Sinn dieser Väter fügen wir hinzu: "Und widerstehen durch die Kraft des für uns am Kreuz vergossenen Blutes Jesu Christi." Paulus schreibt am Ende von Kapitel 7 des Römerbriefs: "Wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes? Ich danke Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!"



5. Die tägliche Reinigung

In Anbetracht der Verheißungen, die uns in der Nachfolge Jesu gegeben sind, ruft Paulus die Gemeinde in Korinth auf. "Weil wir nun solche Verheißungen haben, meine Lieben, so lasset uns von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes uns reinigen und die Heiligung vollenden in der Furcht Gottes" (2. Kor 7,1). Wir tun es im Gebet. An anderer Stelle bindet der Apostel die Heiligung in einen seiner Segenswünsche ein (1. Thess. 5,23.24): "Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. Treu ist er, der euch ruft; er wird's auch tun."

[ 1 ] Der Theologe, Pfarrer Lienhard Pflaum, Bad Liebenzell, Jahrgang 1927, war in bewegten Zeiten ein namhafter Vertreter des evangelischen Konservatismus. Er leitete 29 Jahre lang bis 1992 die Liebenzeller Mission und stand dem Liebenzeller Gemeinschaftsverband vor.



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Abdruck mit freundlicher Genehmigung von "Aufblick und Ausblick" Nr. 3/2007
(Zeitschrift des Vereins zur Stärkung biblischen Glaubens e.V.)
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Ins Netz gesetzt am 29.06.2007; letzte Änderung: 29.06.2007
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