Stammt
das Buch des Propheten Jesaja von mehreren Verfassern?
von Thomas Riedel
Die Problemstellung
In der heutigen Literatur zur
Bibel wird weithin angenommen, dass das Buch des Propheten Jesajas der Feder
mehrerer Verfasser entstammt, man spricht von einem Deuterojesaja (Jes. 40-55)
und einem Tritojesaja (Jes. 56-66). Während Kapitel 1-39 vom “Protojesaja”, dem
eigentlichen Jesaja, im 8. Jh. v. Chr. geschrieben wurden, wurden die beiden
anderen Teile von anderen Autoren zur Zeit des Exils im 6. Jh. v. Chr. oder
noch später verfasst. Im Hintergrund dieser Theorie steht der rationalistische
Gedanke, dass es keine echte Prophetie gibt. Der Prophet Jesaja konnte nicht
den Namen des Königs Kyrus etwa 150-200 Jahre vor seinem Auftreten vorhersagen.
Also müssen die entsprechenden Textabschnitte später geschrieben worden sein,
als die prophezeiten Ereignisse absehbar oder gar schon geschehen waren. Solche
Prophetie nennt man dann vaticinium ex eventu (Prophetie nach dem
Ereignis). Um diesen Ansatz aufrecht zu erhalten meint man sogar, auch
Abschnitte aus dem 1. Teil des Jesajabuches, wie etwa Kap. 13, wo die Meder
schon als Bezwinger Babels gesehen werden, seien ebenfalls von späteren
Verfassern geschrieben und eingefügt worden, echte Prophetie könne es eben
nicht geben.
Geschichte der Zweifel
Zweifel an der einheitlichen
Verfasserschaft Jesajas tauchten erstmals im Mittelalter bei dem jüdischen
Gelehrten Ibn Esra auf. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde in den
Kommentaren von J. G. Eichhorn und Chr. A. Döderlein eine eigenständige
Verfasserschaft der Kap. 40-66 behauptet. Ende des 19. Jahrhunderts teilte B.
Duhm noch die Kapitel 40-66 in den oben genannten Deutero- und Tritojesaja.
Diese Theorien haben sich derart verfestigt, dass sie heute meist einfach
vorausgesetzt werden, in den meisten Büchern werden sie nicht mehr diskutiert.
Es gibt Bibelübersetzungen, die in den einleitenden Worten zum Jesajabuch
diesen Ansatz nicht mehr als Theorie, sondern als gesicherte Erkenntnis
darlegen (z.B. die Einheitsübersetzung von 1980, St. Benno-Verlag). Treue
“Bibelstundengänger” kommen nach Hause und glauben, dass sich ab Jes. 40 Autor,
Zeit und Schauplatz geändert haben. Haben sich also Jesus und die Apostel getäuscht,
die auch die Kapitel 40-66 Jesaja, Sohn des Amoz, zugeschrieben haben? Die
folgende Arbeit will Argumente verschiedener Forscher gegen aber vor allem für
die einheitliche Verfasserschaft aller 66 Kapitel dieses biblischen Buches
zusammentragen und übersichtlich ordnen.
Argumente für die Annahme mehrerer Verfasser
des Jesajabuches
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Argumente gegen die Annahme mehrerer Verfasser
des Jesajabuches
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1. Argumente, die sich auf die
Prophetie beziehen
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Jes. 1-39 bezieht sich primär auf die damaligen
Zeitumstände im 7./8. Jh. v. Chr., das Hauptinteresse von Jes. 40-66 liegt
aber auf dem babylonischen Exil (6. Jh. v. Chr.) und auf der Aussicht auf
eine Rückkehr ins Land Israel. Prophetie kann nicht 150 Jahre oder noch mehr
vorausschauen. Dabei wird besonders auf die namentliche Nennung des Perserkönigs
Kyrus (44,28; 45,1) hingewiesen. Eine Person, dazu noch namentlich, könne
keiner auf so lange Zeit vorhersehen. Demnach muss Jes. 40-66 während des
Exils oder danach entstanden sein.[1]
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Hier wird aufgrund rationalistischer Überlegungen die
Unmöglichkeit einer göttlichen Vorhersage vorausgesetzt. Der Gedanke, das
heute vorliegende Jesajabuch sei nicht von einem Verfasser, beruht auf der
Annahme, dass es keine wirkliche Prophetie gebe. Dieser Annahme folgend muss
der Forscher z. B. in Stil, historischen oder archäologischen Anhaltspunkten
Gründe für die Ablehnung der Prophetie (hier die Jesajas Verfasserschaft
aller 66 Kapitel) finden. Auf die Entdeckung solcher Beweise angewiesen, ist
es gut denkbar, dass Aussagen des Textes entstellt werden.
Zum Argument, der Prophet könne keinen Namen 200 Jahre
voraussagen zwei Beispiele aus dem Alten Testament:
· In
1. Kön. 13,2 sagte ein Prophet dem König Jerobeam I. (931-910) den Namen des
Königs Josia voraus und das dieser Menschengebeine auf dem Altar verbrennen
würde, was dreihundert Jahre später auch eintraf (2.Kön. 23,15ff). Man könnte
das natürlich als spätere Änderung des Textes abtun.
· Schwerer
wird das aber beim Geburtsort Jesu Christi, den rund siebenhundert Jahre vor
der Geburt der Prophet Micha genau nannte: Bethlehem (Mi 5,2). Die
Schriftgelehrten zur Zeit Herodes´ des Großen wussten diese Worte zu deuten.
Auch in Jes. 1-39 werden zukünftige Ereignisse
vorausgesagt,[2] z.B.
· die
Befreiung Jerusalems von Sanherib (37,33-35).
· der
Untergang Babylons durch die Meder und Perser (Jes. 13,17), die hier namentlich
genannt werden. Und warum sollte - wie manchmal angenommen wird - Jes. 13
später eingefügt worden sein? Bestimmt nicht hier die Methode das Ergebnis
der Forschung?
· die
totale Entvölkerung und Verwüstung Judas, was dann unter Nebukadnezar auch
eintraf (6, 11f).
· das
Wegbringen der Schätze des jüdischen Königshauses nach Babel (39,5-7) und
dass einige Söhne des Königs dort als Beamte dienen werden. Babel war zur
Zeit dieser Vorhersage noch eine untergeordnete Provinz. Diese Prophetie konnte
also nicht ein Produkt menschlichen Geistes sein.
Würde man den Namen Kyrus als spätere Einfügung verstehen,
würde der Text von Jes. 41,2-48,14 in seiner Struktur zerstört. Die Aussagen
dieses Abschnittes wären sinnlos, wenn Kyrus zur Zeit ihrer Abfassung schon
ein berühmter Herrscher gewesen wäre.[3]
Wir können nur dann auf Gottes Lenken der Geschichte
hinweisen, wenn Gott durch Prophetie die kommenden Dinge vorhersagt.
Ansonsten haben wir keinen Hinweis darauf, dass Gott wirklich die Geschichte
lenkt und wir nicht tatsächlich einer absoluten Planlosigkeit unterliegen.[4]
Mut zur Rückkehr konnten die Juden aus dem Umstand
schöpfen, dass es bereits erfüllte Prophetie gab und deshalb auch die
Möglichkeit zur Heimkehr, die Jesaja ebenfalls vorhergesagt hatte, mutig
wahrnehmen.[5] Echte
Prophetie konnte durch ihre zumindest teilweise Erfüllung Mut machen, auch
auf das noch nicht Erfüllte zu vertrauen. Aber wozu sollte Prophetie viticinium
ex eventu eigentlich dienen?
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2. Beweise für die palästinische Abfassung von Jes. 40-66
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Man meint, Deuterojesaja wurde in Babylonien geschrieben.[6]
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Die Untersuchung von Jes. 40-66 führt zu der Annahme, dass
diese Kapitel in Palästina und nicht in Babylon niedergeschrieben wurde. Es
gibt in Jes. 40-66 Hinweise, dass Jerusalem noch steht und bewohnt ist. Das
erschwert die Annahme, Jes. 40-66 sei erst im bzw. während des Exils
geschrieben worden. [7]
· Jes.
56,9-59,15 ist eine Anklage gegen ein sündiges Volk, es ist schwer vorstellbar,
dass solche Worte einem Volk im Exil gesagt wurden. Es werden z.B. Wächter
und Hirten genannt (59,9-12), die ihre Aufgaben nicht erfüllen, sie lieben
den Schlummer, ungerechten Gewinn und frohe Tage. Solche Worte klingen nicht
nach Niedergeschlagenheit und Exil.
· In
Jes. 58 wird das Volk wegen seines Fastens gescholten. V. 3: Am Tag des Fastens
gehen sie ihren Geschäften nach und drängen ihre Arbeiter. V. 6: Ein gottgefälliges
Fasten dagegen ist z.B. ungerechte Fesseln zu lösen. Solche Worte können
schwerlich an ein Volk im Exil gerichtet sein. Es wird uns hier vielmehr ein
Volk beschrieben, dass korrupt lebt. (siehe auch 59, 3ff)
· Es
werden Zedern, Eichen, Zypressen (14,8; 41,19; 44,14) erwähnt. Diese Bäume
sind in Palästina beheimatet.
· Von
Jahwe heißt es, er habe seinen Befehl nach Babylon gesandt (43,14).
Den Gefangenen in Babylon wird gesagt: “Geht von dort hinaus, ...”
(52,11).
Israel wird aus der Ferne
gebracht (60,9). Der Verfasser war also nicht bei den Gefangenen.
· Die
Stadt Babel wird in Jes. I neunmal erwähnt, in Jes. 40-66, wo sie angeblich
der Sitz im Leben ist, nur viermal. In Jes. 1-39 kommt der Name Jerusalem 21
mal vor, Zion 29 mal, in Jerusalem kommt Jerusalem 16 mal und Zion 17 mal
vor.[8]
Beide Teile verwenden also die Ausdrücke Jerusalem und Zion mit vergleichbarer
Häufigkeit.
· Es
gibt in Jes. 40-66 keine Augenzeugenberichte von Babylonien und keine detaillierten
Angaben, die zu erwarten wären, wenn sich der Verfasser dort befunden hätte.[9]
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3. Beweise für eine vorexilische Abfassung von Jesaja 40-66
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In jüngerer Zeit neigen die Forscher dazu, dass Jes. 40-66
zwar in Palästina oder in der Umgebung des Sinai zu lokalisieren sei, dennoch
bestehen sie darauf, dass die Kap. 40-66 während oder nach dem Exil verfasst
wurden.[10]
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Verschiedene Anklagen passen schwerlich zu einem Volk,
dass im Exil lebt:
· Jes.
56,9-59,15 ist eine Anklage gegen ein sündiges Volk. Es werden z.B. Wächter
und Hirten genannt (59,9-12), die ihre Aufgaben nicht erfüllen, sie lieben
den Schlummer, ungerechten Gewinn und frohe Tage. Solche Worte klingen nicht
nach Niedergeschlagenheit und Exil.
· In
Jes. 58 wird das Volk wegen seines Fastens gescholten. V. 3: Am Tag des Fastens
gehen sie ihren Geschäften nach und drängen ihre Arbeiter. V. 6: Ein gottgefälliges
Fasten dagegen ist z.B. ungerechte Fesseln zu lösen. Hier wird ein Volk
beschrieben, dass korrupt lebt. (siehe auch 59, 3ff)
Verschiedene Übel werden in Jes. 1-39 und Jes. 40-66
genannt:[11]
· ungerechtes
Gericht: Jes. 1,17; 5,23; 10,2f; 59,3f.15
· Blutvergießen:
Jes. 1,15 u. 59,3.7
· Heuchelei
im religiösen Leben: 29,13 u. 58,2.4
· Götzendienst
an heiligen Bäumen: 1,29 u. 57,5
Art und Maß des Verfalls in Juda erinnern an die
Regierungszeit der Könige, besonders an Ahas und Manasse:
· Jesaja
verweist auf Kinder, die in Tälern geschlachtet wurden (57,5), Ahas verbrannte
seine Söhne im Tal Ben-Hinnom im Feuer (2.Chr. 28,3), Manasse ließ dort
seinen Sohn durchs Feuer gehen (2.Kön.21,6).
· Man
opferte auf Höhen, dieser Kulttypus trat nach dem Exil nicht mehr auf, vorher
dagegen oft (Jes. 57,7 u. 2.Kö. 15,5.35 u.a.).
· Es
wird falsche Frömmigkeit angeklagt, am Tag des Fastens ging das Volk seinen
Geschäften nach und drängte seine Arbeiter. Das Volk sollte vielmehr ungerechte
Fesseln lösen und gewalttätig Behandelte als Freie entlassen (58,3-7).
Sollten solche Forderungen an ein Volk im Exil gerichtet worden sein?
· In
Jes. 44,9ff wird ironisch die Herstellung eines Götzenbildes beschrieben und
davor gewarnt (s.a. 40,19ff). Ahas stellte Gussbilder für die Baalim her (2.
Chr. 28,2), Manasse machte ein Götterbild und stellte es in den Tempel
(2.Kö.21,7).
· Götzendienst
in den Gärten wird in Jes. 1,29 u. 65,3; 66,17 genannt. In 2.Kö. 16,4; 17,10
opferte man unter jedem grünen Baum.
Die Schilderung des Götzendienstes verweist auf hügeliges
Land und nicht ebenes Schwemmland, wie es in Babylonien war. Anhand der
nachexilischen Schriften Haggai, Sacharja, Maleachi, Esra, Nehemia lässt sich
nachweisen, dass nach dem Exil kein Götzendienst mehr getrieben wurde. Alle
Forscher sind sich einig, dass die zurückkehrenden Juden keinen Götzendienst
mit sich brachten.[12]
Sollte jemand vaticinium ex eventu schreiben
und behaupten, dass sich Gottes Prophetie erfüllt (Jes. 46,9; 48,3)? Dieser
Mann wäre ein Lügenprophet, der seine falsche Prophetie geschickt tarnen
wollte. Sollte aber solch eine Schrift in den alttestamentlichen Kanon
aufgenommen worden sein?
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2. Chr. 36,22ff&xnbsp; u.
Esr. 1,1ff nehmen auf Kyrus Bezug, geben aber als Quelle Jeremia an. Man
meint hier die Prophezeiung des Kyrus´ stamme also nicht vom vorexilischen
Jesaja.[13]
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In beiden Stellen geht es darum, dass Israel aus dem Exil
wieder zurückkommen soll, es geht nicht vordergründig um den Namen Kyrus. Und
die Rückkehr Israels in ihr Land wurde in Jer. 25,11; 29,10 vorhergesagt!
Dabei wird auch der Niedergang Babels angekündigt, Jer. 51,11ff spricht vom
Sieg der Meder über Babel. Die Herleitung des Kyrus´ - er nannte sich König
der Meder - und die Rückführung der Israeliten nach Jerusalem aus Jeremia ist
keineswegs falsch, auch wenn dort der Name Kyrus nicht ausdrücklich genannt
wird.
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Man meint, Jerusalem sei zerstört, während Jes. 40-66
geschrieben wurde (Jes. 44,26ff; 49,8.16ff; 51,3).[14]
Themen wie Segen, Rettung, Trost und Hoffnung passen nicht zu den
Gerichtsworten in Je. 1-39, dafür aber in die Zeit des Exils mit seiner
Hoffnung auf Heimkehr.[15]
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In diesen Stellen ist von Wiederaufbau und Freilassung der
Gefangenen die Rede. Es wird nicht ausdrücklich gesagt, dass Jerusalem zur
Zeit Jesajas zerstört war. Schon in Jes. 1,2-9 beginnt der Prophet mit einer
tiefen Klage über Juda und Jerusalem. Das Land ist eine Öde, die Städte mit
Feuer verbrannt, Fremde rauben es aus. Verwüstung, Krieg, Zerstörung werden
auch in Jes. 3 u. 4 angesagt. Wen sollte es wundern, dass der Prophet auch
von Wiederherstellung vorherzusagen weiß? In Jes. 39,6ff wird vorhergesagt,
dass die Schätze des Königspalastes, ja sogar einige Königssöhne nach Babel
gebracht werden. Jerusalem wird also erobert werden. Kann auf dieser
Grundlage der Prophet nicht auch die Wiederherstellung Zions vorhersagen?
(siehe dazu auch Abschnitt 1)
Wieso sollen Segen, Rettung, Trost und Hoffnung nicht zu
den Gerichtsworten in Jes. 1-39 passen, zumal auch in diesem Teil Trostworte
mit Gerichtsworten häufig wechseln (z.B. Jes. 8,23-10,4; Jes. 11-14 u.a.)
Schließlich vermittelten diese Aussagen die Hoffnung auf ein Weiterbestehen
des Volkes Israels trotz des Gerichtes.
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4. Angebliche Unterschiede in
Sprache und Stil
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Nach Verfechtern der Deuterojesaja-Theorie gibt es
zwischen Jes. 1-39 und 40-66 eindeutige stilistische Unterschiede, die nur
durch unterschiedliche Verfasser erklärt werden können. Vier neue Formen stehen
im Vordergrund: das weiter ausgebildete Heilswort, der Hymnus, die
Gerichtsrede, sie dient nicht mehr der Anklage Israels, sondern dem Erweis
des allein dienenden Gottes Israels, und das Diskussionswort, das Zweifel an
der prophetischen Botschaft abwenden soll.[16]
Der Stil von Jes. 1-39 ist knapp und bündig, der Verfasser
bleibt beim Thema, Jes. 40-66 dagegen ist ausführlich und überschwänglich, es
gibt Verdoppelungen, z.B. 40,1: Tröstet, tröstet; 43,11: ich, ich;
57,6: sie, sie; 57,10: Friede, Friede. Bestimmte Worte kennzeichnen
Jes. 40-66, wie schamah (hören, 42,9; 43,19; 58,8), qara (predigen,
40,2.6; 44,7; 58,1). Worte wie bahar (prüfen, auswählen, 48,10) oder nahar
(strahlen, leuchten, 60,5) weisen angeblich auf einen späteren Sprachgebrauch
hin.[17]
Der Name Jesajas wird nach Jes. 39,8 nicht mehr erwähnt.[18]
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Gegensätze in Konzept, Stil und Ansatz sind auch zwischen
Goethes Faust I und Faust II festzustellen. Archer führt
weitere Literaturbeispiele an. Es muss also nicht ein zweiter Autor die Kap.
40-66 geschrieben haben. Außerdem gibt es deutliche stilistische
Ähnlichkeiten zwischen beiden Teilen des Jesajabuches. Es wäre ein Zirkelschluss,
zu meinen, Unterschiede weisen auf zwei Verfasser hin, aber Ähnlichkeiten
zeigen lediglich, dass der Verfasser von Jes. 40-66 ein Schüler
“Protojesajas” war. Folgende Beispiele sollen genannt werden:[19]
· der
Heilige Israels kommt in Jes. 1-39 zwölfmal, in Jes. 40-66 vierzehnmal,
sonst im AT nur fünfmal vor.
· Denn
der Mund des Herrn sagt es… in 1,20; 40,5; 58,14.
· Wolf
u. Lamm werden zusammen weiden, der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind in
11,6-9 u. 65,25.
· Das
Bild vom Weg des Herrn durch die Wüste kommt in 35,8 u. 40,3 vor.
· Der
Gedanke von einem Überrest kommt in Jes. 1-39 u. 40-66 auffallend oft vor
(6,13; 7,3; 10,20; 28,5; 30,17; 49,21; 59,20; 65,8, Kap. 40 richtet sich an
den Rest, u.a.).[20]
· Es
gibt in beiden Teilen Jesajas Lieder: z.B. Jes. 5, 1-7; 12, 1-6; 26; 42,10ff;
53 u. 53.
· Sogenannte
fixed pairs (feste Wortpaare), die in beiden Jesajateilen vorkommen,
sprechen ebenfalls für eine einheitliche Verfasserschaft: Erde und Staub
in Jes. 26,5; 29,4; 34,7; 47,1; Feuer und Flamme in Jes. 5,24;10,17;
43,2; zu wissen - zu verstehen in Jes. 1,3; 40,14 u. 21; 43,10.
· Auch
Verdoppelungen sind in Jes. 1-39 und nicht nur in Jes. 40-66 zu finden: Jes.
21,11 (Wächter, Wächter), 29,1 (Ariel, Ariel).
· In
Jes. 40-66 fehlen linguistische Einflüsse aus dem 5. Jh. v.Chr., wie sie aus
dem Aramäischen und Babylonischen kommend in Esra und Nehemia bekannt sind.
· Was
besagt es, wenn in Jes. 40-66 der Name des Propheten nicht mehr genannt wird?
Zumal nicht behauptet wird, dass alle 66 Kapitel des Propheten in kürzester
Zeit und ohne Unterbrechungen entstanden sein müssen. Müssen wegen dieser
Beobachtung zwei Verfasser angenommen werden?
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5. Angebliche theologische
Unterschiede
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Man sagt, Jes. 40-66 betone die Unendlichkeit Gottes und
seine souveräne Beziehung zu den Heidenvölkern auf eine Art und Weise, die ausgearbeiteter
und nachdrücklicher ist als in Jes. 1-39.[21]
Jes. 1-39 beschäftigt sich mit Sünde und Strafe, Jes.
40-66 mit Trost, Erlösung und Heil. In Jes. 1-39 ist Jahwe der erhöhte Gott
unter anderen Göttern, andere Götter gab es, durften aber nicht verehrt
werden, es gab einen “praktischen Monotheismus”. In Jes. 40-66 dagegen ist Jahwe
der alleinige Gott, es gibt einen “theoretischen Monotheismus”, der die
Existenz anderer Götter verneint.[22]
Der zukünftig regierende König in Jes. 1-39 sei in 40-66 durch den leidenden
Knecht ersetzt worden.[23]
|
Es wurden noch nie Widersprüche in der Theologie beider
Jesajateile entdeckt. Der Einbruch des Götzendienstes unter Manasse macht es
verständlich, dass die Souveränität und Einzigartigkeit Jahwes herausgestellt
werden muss, wie es in Kap. 40-48 zu sehen ist. Die Lehre von der
stellvertretenden Sühnung des Gottesknechtes passt zum unabwendbaren Gericht.
Sie gab dem Volk die Hoffnung, dass die Geschichte Israels weitergehen wird.
Auch Jes. 1-39 weiß von Heil und einer erhabenen Stellung
Jerusalems zu berichten: Jes. 1,27: Zion wird erlöst werden, Jes. 2:
Jerusalem wird als Haupt der Berge feststehen und Mittelpunkt der
Nationen sein, Jes. 4: Gott wird die Sünden der Töchter Zion abwaschen und
die Stadt schützen, Jes. 8,23ff: Licht leuchtet über dem Land im Dunkel, Jes.
11: das kommende Friedensreich.
Die Existenz anderer Götter wird sowohl in Jes. 1-39 als
auch in 40-66 geleugnet (37,4.16.17.20; 44,8; 43,10; 44,6 u.a.). Das
Gottesbild ist in beiden Teilen nicht derart unterschiedlich, das man zwei
verschiedene Verfasser annehmen muss. Jahwe ist in allen Teilen Jesajas
herrschender und rettender König (6,5; 24,33; 33,22; 43,15; 43,15; 44,6).
Somit kann man nicht einfach sagen, dass der leidende Gottesknecht den
zukünftig regierenden König in Jes. 40-66 ersetzt.[24]
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6. Zusätzliche Beweise für die
Echtheit von Jesaja 40-66[25]
|
· Das
NT kennt nur einen Autor für den Propheten Jesaja. Mat. 3,3 u. Luk. 3,4
zitieren Jes. 40,3-5 als Wort von Jesaja. In Joh. 12,38-41 wird aus Jes. 53,1
u. 6,9-10 zitiert, also aus beiden Teilen Jesajas, wobei Jesaja ausdrücklich
als Verfasser genannt wird. Johannes fährt in 12, 41 fort: Dies hat Jesaja
gesagt, weil er seine Herrlichkeit sah…Johannes sprach also von dem
Jesaja, der die Tempelvision (Jes. 6) hatte. Wenn der Jes. 6 und 53 von
unterschiedlichen Autoren stammen, dann haben sich die Evangelisten und
Apostel geirrt. Auch Paulus kennt nur einen Jesaja, in Rö. 10,16 zitiert er
Jes. 53,1 und nennt Jesaja als Autor. Gibt es einen Deuterojesaja, dann
enthielte das NT Fehler!
· Man
ist sich einig, dass der Verfasser von Jes. 40-66 der größte
alttestamentliche Prophet ist, trotzdem kennt man seinen Namen nicht. Der
älteste außerbiblische Hinweis auf Jesaja ist bei Jesus Sirach, 180 v.Chr.,
zu finden (Sir. 48,20-25). Dieser kennt nur Jesaja als Verfasser. Sir.
28,24.25 erinnert an Jes. 42,9; 46,10; 48,5. Sollte der großartige Schreiber
von Jes. 40-66 anonym und im Schatten von Jes. 1-39 geblieben sein, und das
schon um 180 v.Chr.?
· Der
jüdische Schriftsteller Flavius Josephus (1. Jh.) berichtet, dass Kyrus
erstaunt war, seinen Namen bei Jesaja zu lesen, der ihn über 150 Jahre vorher
schon niedergeschrieben hatte. Also ging auch Josephus allein von Jesajas Verfasserschaft
aus.[26]
· Es
gibt Parallelen zwischen Jes. 40-66 und anderen vorexilischen Propheten,
z.B.: Jes. 41,11-15 u. Mi. 4,13: Israel wird Völker zugrunde richten, das
Bild des Dreschens wird gebraucht; Jes. 49,23 u. Mi. 7,17: Völker werden sich
vor Israel in den Staub werfen; Jes. 58,1 u. Mi. 3,8: dem Volk soll seine
Sünde kundgetan werden; Jes. 47,8 u. Zeph. 2,15: beide Stellen sprechen von
einer sich sicher fühlenden Stadt; Jes. 52,7 u. Nah. 2,1: beide Stellen
sprechen von einem Freudenboten, der Heil verkündigt; Jes. 51,15 u. Jer.
31,35: Gott lässt das Meer aufbrausen u.a.[27]
|
7. Ein Gliederungsvorschlag, der
die Einheit des Jesaja-Buches unterstützt
|
Eine Qumran-Rolle hat eine Zäsur zwischen Kap. 33 und 34,
nicht aber zwischen Kap. 39 und 40.[28]
Folgenden Gliederungsvorschlag gibt es dazu:[29]
|
Thema
|
Kapitel in Jes. 1-33
|
Kapitel in Jes. 34-66
|
Vernichtung und Wiederherstellung
biografisches Material
Werkzeuge göttlichen Segens und Gerichts
Fremdvölkersprüche
Universale Erlösung und Befreiung Israels
ethische Predigten
Wiederherstellung der israelitischen Nation
|
1-5
6-8
9-12
13-23
24-27
28-31
32-33
|
34-35
36-40
41-45
46-48
49-55
56-59
60-66
|
[1] Archer,
Gleason, L. Einleitung in das Alte Testament, Band 2. Bad Liebenzell:
Verlag der Liebenzeller Mission, 1987/1989, S. 216ff.
Fohrer, Georg. Das Alte Testament, Band 40-66/40-66.
Berlin: Evangelische Verlagsanstalt GmbH, 1972, S. 66.
[2] Archer, S.
222-223 u. zu Jes. 13 S. 241f.
[8] Rogers,
Cleon. Erwägungen zur Verfasserschaft des Jesaja. Fundierte Theologische
Abhandlungen. Hg. Cleon Rogers. Bd. 1. Giessen: Wilhelm Schmitz Verlag, 1983.
S. 97.
[9] Motyer,
Alec. The Prophecy of Isaiah. Leicester: Inter-Varsity Press, 1993, S.
27f.
[12] Archer, S.
229-232; Rogers, S. 98.
[13] Weiser,
Arthur. Einleitung in das Alte Testament. Berlin: Evangelische
Verlagsanstalt GmbH, 1963, S. 167.
[16] Fohrer, S.
66ff; zur Form des Heilswortes s.a. Westermann, Claus. Das Buch Jesaja, ATD.
Bd. 19, Berlin: Evangelische Verlagsanstalt GmbH, 1968, S. 13ff.
[17] Rogers, S.
91f; zur Gattung des Heilsorakels
[18] Weiser,
Arthur. Einleitung in das Alte Testament. Berlin: Evangelische
Verlagsanstalt GmbH, 1963, S. 167.
[20] Möller,
Hans. Alttestamentliche Bibelkunde. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt
GmbH, 1986, S. 184.
[22] Fohrer, Bd.
I/40-66I, S. 70.
[26] Rogers, S.
109; Josephus, Jüdische Altertümer. Wiesbaden: Fourier Verlag, 6.
Auflage, 1985, 11. Buch, 1. Kapitel, S.4.
[28] Motyer,
Alec. The Prophecy of Isaiah. Leicester: Inter-Varsity Press, 1993, S.
27.
[29] Mitschrift
aus einer Vorlesung an der FTA.
Copyright © 2001 by Thomas Riedel. Alle Rechte vorbehalten. Veröffentlichung mit freundlicher Genehemigung.
Dieses Papier ist ausschließlich für den persönlichen Gebrauch bestimmt.
URL: http://www.efg-hohenstaufenstr.de/downloads/bibel/bk_jesaja_verfasserschaft.htm
Ins Netz gesetzt am 24.11.2001; letzte Änderung 21.11.2018
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