Wie bereite ich eine Bibelarbeit vor?

- oder: Wie arbeite ich mit der Bibel? -

von Karl-Heinz Vanheiden [ A ]

 

Jeder, der mit der Bibel arbeitet, sollte das als großartiges Vorrecht betrachten, aber jeder weiß auch, dass es eine schreckliche Plackerei sein kann. Dennoch:

1   Ich mache mir bewusst: Ich habe es mit Gottes Wort zu tun!

Das vor mir liegende Buch, die Bibel, wird nicht erst durch meine Predigt zu Gottes Wort, es ist das schon - in jeder Textzeile. Diese Tatsache zwingt mich zur Ehrfurcht, treibt mich zum Gebet und bewahrt mich vielleicht auch vor meinen Lieblingsideen. Ich muss erfassen, was wirklich dasteht und nicht das, was ich gern darin sehen möchte.

2   Ich wähle einen Abschnitt oder ein Thema.

Hier beginnt die erste Schwierigkeit. Die Bibel hat 31.176 Verse. Welche 10 oder 15 davon sind die Richtigen für mich und meine Zuhörer? Welches Thema will Gott gesagt haben? Man kann sich die Beantwortung dieser Fragen natürlich leicht machen und nimmt irgend etwas. Aber gibt es nicht doch Führung - auch bei der Text- und Themenwahl? Darum bete ich, aber ich verbiestere mich nicht. Nach dem Gebet überlege ich nüchtern: Was könnte für meine Geschwister jetzt besonders wichtig sein? Manchmal bekomme ich den Auftrag, über ein bestimmtes Thema zu reden. Dann nehme ich das gern aus Gottes Hand. Schon vor längerer Zeit ist mir ein biblisches Buch besonders wichtig geworden - möglich, dass jetzt eine Fortsetzung "dran" ist. Ich habe auch eine Liste mit Themen angelegt, die mir irgendwann eingefallen sind und über die ich gern einmal arbeiten würde. Ich denke auch an den Anlass und nehme für eine Beerdigung nicht gerade den Text über den Untergang Sodoms.

Für den Anlass dieses Aufsatzes wähle ich Sacharja 13, 4-6. Es ist ein Text, den ich schon ein wenig kenne, aber noch nie bearbeitet habe. Er ist kurz genug, um in einer Zeitschrift Platz zu haben, schwierig genug, dass man den Aufsatz vielleicht liest, um Aufklärung zu erhalten, und schließlich ist er auch nicht ohne Brisanz.

3   Ich lese gründlich und im Zusammenhang.

Am liebsten würde ich es im Grundtext tun. Da ich aber nicht so gut Hebräisch kann, lese ich den Text und seinen Zusammenhang in den verschiedenen Übersetzungen, die ich habe. Dabei fällt mir auf, dass die anschließenden Verse sich deutlich von allen vorhergehenden in Kapitel 13 unterscheiden. Vers 7 ist ganz offensichtlich ein poetischer Text. Manche Übersetzungen machen das sogar durch ein verändertes Druckbild deutlich. Hier wird ein Schwert angesprochen, während es vorher und auch in dem gewählten Text um prophetische Ankündigungen in normaler Sprache geht. Außerdem beginnt in Vers 7 ein neuer Gedanke, der nicht unbedingt mit dem vorhergehenden zusammenhängt.

Weiter fällt mir auf, dass in Kapitel 12 und 13 mehrmals die Formulierung "an jenem Tag" vorkommt. Ich werde herausbekommen müssen, welcher Tag damit gemeint ist. Außerdem taucht in meinem Kapitel mehrmals die Wendung "und es wird geschehen" auf. Auch mein Text beginnt so. Offenbar hat der Prophet so einige zusammengehörige Weissagungen angeordnet, denn die Verse 2 und 3 haben einen ähnlichen Inhalt wie mein Text.

Ich versuche, meinen Horizont zu erweitern und den Text in das ganze Buch einzuordnen. Dabei stelle ich fest, dass Kapitel 12 mit einer eigenartigen Formulierung beginnt und vorher schon Kapitel 9 mit einer ähnlichen: "Ausspruch, Wort des Herrn". Einige Übersetzungen geben das mit "Last des Herrn" wieder. Mir fällt auf, dass in allen vorherigen Kapiteln Sacharjas die Weissagungen nach dem Datum geordnet sind. Mein Text steht also unter den nichtdatierten Lastworten, Botschaften, die dem Propheten wie eine Last von Gott auferlegt worden waren.

4   Ich verschaffe mir Klarheit über die Zeitgeschichte.

Die datierten Weissagungen des Propheten Sacharja sind alle während der fünfjährigen Bauzeit des zweiten Tempels von 520-515 v.Chr. entstanden. Etwa 50.000 Israeliten hatten 18 Jahre vorher dem Ruf Gottes Folge geleistet und waren aus der babylonischen Gefangenschaft heimgekommen. Auf das Wort Maleachis hin waren sie nun endlich bereit, den Bau wieder aufzunehmen. Sie lebten in großer Armut und auch mit ihrem geistlichen Leben stand es nicht zum Besten. Alle Weissagungen im ersten Teil Sacharjas beziehen sich irgendwie auf den Tempelbau.

Vermutlich empfing Sacharja die nicht datierten Weissagungen ab Kapitel 9 erst einige Jahrzehnte später, vielleicht um 480 v.Chr. Diese Botschaften sind hauptsächlich auf die Zukunft ausgerichtet. Kapitel 13 deutet allerdings an, dass zur Zeit der Abfassung des Buches auch falsche Propheten im Volk ihr Unwesen trieben, wie zur Zeit Nehemias 35 Jahre später (Neh 6,12-14).

5   Ich interessiere mich für den Autor und seine ersten Leser.

Ich versuche, alles Wissenswerte über den Verfasser des Buches zusammenzutragen und erfahre, dass Sacharja ein junger Priester war, der vermutlich als Kind mit der ersten Welle der Rückkehrer nach Israel gekommen war. Als junger Mann (Kap 2,8) trat er an die Seite Maleachis (vgl. Mal 2,1.10 und Sach 1,1) und führte seinen prophetischen Dienst während der ganzen Tempelbauzeit fort (Esr 6,14f).

Es ist einleuchtend, dass er zu den Israeliten seiner Zeit in seinem Land sprach und sein Buch auch für sie aufschrieb (auf bibelkritische Anfragen will ich hier nicht eingehen). Ich muss mir im Klaren darüber sein, dass ich seine Botschaft wahrscheinlich nicht verstehen kann, wenn ich nicht verstehe, was er seinen ersten Hörern bzw. Lesern sagen wollte.

6   Ich lese alle angegebenen Parallelstellen.

Jetzt endlich wende ich mich dem eigentlichen Text zu. Die Herausgeber moderner Bibeln haben meist wichtige Parallelstellen angegeben, die mir einerseits das Verständnis des Textes erleichtern und andererseits die Vernetzung des Textes mit der ganzen Bibel aufzeigen.

Aus 2Kö 1 erfahre ich, dass Elia einen Prophetenmantel aus Ziegenhaar trug. Das haben ihm die falschen Propheten offenbar nachgemacht.

Micha kündigt etwas ähnliches wie Sacharja an, dass die falschen Propheten sich für das, was sie taten, schämen werden.

Amos 7,14 führt mich ein bisschen in die Irre. Denn Amos ist kein falscher Prophet, wie die, von denen in meinem Text gesprochen wird. Er hat auch keine Ausrede, sondern berichtet nur seine Herkunft.

1Kö 18 schließlich führt mich zu den Baalspropheten, die sich in der Ekstase selbst Wunden beibrachten. Handelt es sich bei den in Sach 13,6 erwähnten Wunden also nicht um die Wundmale Christi? Das muss ich noch näher untersuchen.

7   Ich versuche jede Aussage zu verstehen.

Jetzt untersuche ich Wort für Wort, Aussage für Aussage und mache mir klar, ob ich es auch wirklich verstanden habe. Ich will mich hüten, mein eigenes Vorverständnis in den Text hinein zu legen. Was ich nicht eindeutig verstehe, formuliere ich in möglichst klaren Fragen, die ich jetzt aber noch nicht beantworte.

(1) Welcher Tag ist "jener Tag" in V. 4?  

(2) Warum gibt die REÜ den Text: "Wenn die Weissagung über sie kommt", im Passiv wieder? Alle anderen Übersetzungen formulieren aktiv: "Wenn sie weissagen".  

(3) Sagt der Prophet, dass er ein freier Bauer oder ein Sklave gewesen wäre? Auch dieser Passus wird unterschiedlich übersetzt. Die Antwort ist aber nicht so wichtig, weil sich an der grundsätzlichen Aussage dadurch nichts ändert.  

(4) Was sind "Wunden zwischen den Händen"?

8   Ich beantworte die Fragen mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen.

Frage 1: Eine legitime Antwort bekomme ich, wenn ich in einer Konkordanz (oder mit einem PC-Bibelprogramm) alle Stellen nachprüfe, die den gleichen Ausdruck verwenden. Dabei muss ich so vorgehen, dass ich zuerst alle Vorkommen bei Sacharja untersuche, dann bei den anderen nachexilischen Propheten (Haggai und Maleachi), dann in den anderen alttestamentlichen Propheten, dann im restlichen Alten Testament und schließlich im Neuen Testament, wobei ich aufpassen muss, dass ich hier wirklich den genau entsprechenden Begriff erwische, denn der Grundtext des neuen Testaments wurde in einer anderen Sprache verfasst.

Ich stelle fest, dass "jener Tag" 386mal in der Elberfelder Bibel vorkommt, häufig allerdings nicht in einem prophetischen Sinn. Auch bei den 42 Vorkommen in Sacharja gibt es einzelne Stellen, die das Wort im alltäglichen Sinn gebrauchen. "Jener Tag" beschreibt eine Zeit, in der viele Nationen sich dem Herrn anschließen und der Herr selbst in der Mitte Israels wohnen wird, in der es Israel gut geht, wo ganz Jerusalem heilig sein wird und lebendige Wasser aus der Stadt fließen. An jenem Tag wird sogar eine Quelle gegen Sünde und Befleckung geöffnet sein. An "jenem Tag" werden sich aber auch alle Völker gegen Jerusalem versammeln, doch der Herr wird sein Volk stark machen und es retten. Schließlich wird an "jenem Tag" der Herr selbst wiederkommen, sein Volk befreien und eine Zeit des Segens kommen lassen.

"Jener Tag" hat es nach Sacharja also mit drei Ereignissen zu tun: Israel und besonders Jerusalem wird von allen Völkern angegriffen. Dann wird der Herr durch seine sichtbare Wiederkunft sein Volk retten und eine große Segenszeit beginnen lassen. Es ist offensichtlich, dass die Erfüllung der Weissagungen im Zusammenhang mit jenem Tag bis heute noch aussteht.

Natürlich kann ich auch gleich in einem biblischen Wörterbuch oder einem Kommentar nachsehen, wo ein anderer die Arbeit (hoffentlich gründlich) für mich gemacht hat. Aber so habe ich mehr Sicherheit und kann zur Kontrolle doch noch nachschauen.

(2) Eine Antwort auf diese Frage und auch die Passivform selbst habe ich nirgends gefunden. Also muss ich davon ausgehen, dass die Übersetzung der REÜ hier ohne tiefere Bedeutung ist und nicht annehmen, dass der Prophet ja nichts dafür kann, wenn er Weissagung erlebt.

(4) Die Antwort finde ich übereinstimmend in vielen Bibelausgaben und Kommentaren. Es meint Wunden, die irgendwo zwischen den ausgebreiteten Händen, also an den Armen, der Brust oder sogar dem Rücken zu finden sind.

9   Ich formuliere die Ergebnisse des Studiums.

Es wird eine Zeit kommen, wo es keine falschen Propheten mehr gibt. Das wird irgendwann im Zusammenhang mit der Wiederkunft des Herrn geschehen. Die falschen Propheten werden sich dann über ihre Weissagungen schämen und nicht mehr so tun, als ob sie echte Propheten seien. Selbst wenn man nachfragt, werden sie es abstreiten, je als Propheten aufgetreten zu sein. Und wenn man sie fragt, woher sie die Wundnarben haben (die falsche Propheten sich in Ekstase zufügen), werden sie von einer Schlägerei unter Freunden (oder Zechbrüdern) erzählen.

10   Ich überlege, wie ich die Aussagen auf mich und meine Geschwister anwenden kann.

Mir ist klar, ich darf Sach 13,6 nicht als Weissagung auf die Wunden meines Herrn Jesus Christus deuten. Das wäre nicht nur falsch, sondern fast lästerlich.

Ansonsten scheint nicht viel anwendbar zu sein - außer, dass ich mich nach der Zeit sehnen darf, wo es keine falsche Propheten mehr geben wird. Denn heute gibt es sie leider noch.

Aber macht der Text nicht auch deutlich, woran man falsche Propheten erkennen kann? Dann wäre das der erste Baustein für ein thematisches Bibelstudium über falsche Propheten heute.

 

[ A ] Der Autor, Karl-Heinz Vanheiden ist in der übergemeindlichen Gemeindearbeit der Christlichen Versammlung tätig und Leiter der Bibelschule in Burgstädt.

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Copyright (C) 2002 by Karl-Heinz Vanheiden
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Ins Netz gesetzt am 1.12.2001; letzte Änderung: 29.05.2013

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