Darf ein Katholik nicht nach Brüssel?

Die Kampagne gegen Rocco Buttiglione ist unbegründet und widerspricht dem Geist der EU - Debatte


von Elmar Brok[ 1 ]

Die Entscheidung des Europäischen Parlamentes über das Schicksal der Kommission Barroso wird deutlich machen, ob Europa auf Toleranz, Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit gegründet bleibt oder ob die Diktatur der jeweils aktuellen Definition von Political Correctness gelten wird.

Die Gegner des italienischen Kommissionskandidaten Rocco Buttiglione bestreiten nicht die Kompetenz des Rechtswissenschaftlers, Philosophen und erfahrenen Ministers. Sie befassen sich auch nicht wirklich mit seinen Aussagen - vielleicht auch deshalb, weil es für manche schon eine Überforderung ist, zwei Sätze im Zusammenhang zu lesen und zu verstehen. Nein, sie kämpfen gegen ein Bild von ihm, das sich aus ihrer Abneigung gegen den Freund des polnischen Papstes, gegen den überzeugten Christen ableitet. "Er ist zu katholisch", hört man aus der bunten Truppe der Ampelkoalition, die sich im EP bildet.

Was hat er nun in seinem Hearing im EP-Innenausschuß, der ihn mit 26 zu 25 Stimmen abgelehnt hat (während der Rechtsausschuß seine Eignung für das Amt des Rechts- und Innenkommissars bestätigt hatte), gesagt? Der Wortlaut: "Ich möchte an einen alten und vielleicht nicht völlig unbekannten Philosophen, Immanuel Kant aus Königsberg, der eine klare Unterscheidung zwischen Moral und Recht macht, erinnern. Vieles mag als unmoralisch erwogen werden, aber es sollte nicht verboten werden ... Ich mag denken, daß Homosexualität eine Sünde ist. Dies hat keinen Einfluß auf die Politik, wenn ich nicht sage, daß Homosexualität ein Verbrechen ist ... Ich möchte sagen, daß ich es als eine inadäquate Erwägung des Problems betrachte, anzunehmen, daß jeder in moralischen Fragen übereinstimmt. Wir können eine Gemeinschaft der Bürger aufbauen, auch wenn wir in moralischen Fragen unterschiedliche Meinungen haben. Der Auftrag ist vielmehr Nichtdiskriminierung. Der Staat hat kein Recht, seine Nase in solche Angelegenheiten zu stecken, und niemand darf auf der Basis seiner sexuellen Orientierung oder seines Geschlechts diskriminiert werden. Dies steht in der Charta der Grundrechte, dies steht in der Verfassung, und ich habe mich verpflichtet, diese Verfassung zu verteidigen." Er verteidigt Andersdenkende mit den Worten, daß sie "unbegrenzten Wert" haben. Und auch seine Familienpolitik hat nichts Antiquiertes, wenn er sagt, daß der Frau heute die Möglichkeit gegeben werden muß, Mutter zu sein und gleichzeitig ihre "beruflichen Talente" zu nutzen.

Buttiglione hat in einem Schreiben an Barroso auch klargestellt, daß er im Falle eines Gewissenskonfliktes an Abstimmungen nicht teilnehmen werde. Barroso hat dem EP das Angebot gemacht, unter seinem Vorsitz eine Arbeitsgruppe mit den Kommissaren Spindla, Walström und Buttiglione einzurichten, um eine kollektive Verantwortung in Fragen der Grund- und Menschenrechte und der Nichtdiskriminierung unter Beibehaltung der Ressortzuständigkeiten zu verdeutlichen. Im übrigen ist Spindla (der bei den Hearings sehr schwach war), nicht aber Buttiglione für den Bereich Nichtdiskriminierung verantwortlich.

Kaum werden diejenigen Kommissarskandidaten diskutiert, die sachlich für ungeeignet gehalten werden. Liberale unter Anführung der FDP-Abgeordneten, Grüne und Sozialdemokraten führen die Schlacht fast ausschließlich gegen den, dessen Werte sie nicht mögen. Daß sein Bekenntnis zu den Formen und Inhalten des Rechtsstaats bei ihnen ebenso wie die Absicherungsvorschläge ohne Eindruck bleiben, ist nur auf den ersten Blick verwunderlich. Sie sehen eine Chance, ihr Bild von der Gesellschaft politisch verbindlich zu machen. Nicht der Rechtsstaat und Toleranz sind für sie ein Wert, erst recht keine religiöse Überzeugung, die in den Rechtsstaat eingebunden ist. Vielmehr soll eine einzige Position mit dem Instrument der Political Correctness verbindlich gemacht werden. Nur Vertreter dieser Position haben das Recht, bestimmte politische Ämter wahrzunehmen. Dieser Anspruch ist total und illiberal. Schröder, Müntefering, Fischer und Westerwelle werden auch in der deutschen Diskussion daran zu messen sein, wie sie und ihre Parteifreunde im Europäischen Parlament in dieser Grundorientierung unseres Gemeinwesens abstimmen werden.

Der designierte Kommissionspräsident Barroso muß in seiner harten Haltung gegenüber den genannten Kräften des EU-Parlaments unterstützt werden. Er hat im Falle eines Sieges eine hohe Autorität, weil er in der Verteidigung von Werten und Rechtsstaat kompromißlos ist. Eine knappe Stimmenzahl reicht. Wenn Barroso aber verlieren sollte, wird die Botschaft verheerend sein: Ein gläubiger Christ, Jude oder Moslem kann dann nicht ein EU-Ressort führen, das mit Grundrechten zu tun hat. Der Glaube an einen Gott wird zum Hindernis für eine politische Laufbahn.

Es ist ein Unglück, daß diese Ampelkoalition den Test ihrer Position auf europäischer Ebene durchführt und damit die EU in Mißkredit gerät. Dies kann auch das Ende des Verfassungseuropas sein. In Ländern wie Polen oder Irland wird die Ratifikation der Verfassung dann fast unmöglich. Es ist zu hoffen, daß zwei Tage vor der Unterzeichnung der Verfassung Vernunft einkehrt.



[ 1 ] Der Autor, Elmar Brok (CDU), ist Abgeordneter des Europaparlaments und war Vorsitzender der EVP-Gruppe im EU-Verfassungskonvent.

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