Urkoran, Koran und das Alte Testament in ihrer Beziehung zueinander

Eberhard Tröger [ 1 ]


1. Ur-Koran und Koran

Das arabische Wort »Koran« heißt soviel wie »Lesung, Rezitation« und meint den Vortrag eines Textes in einer gehobenen, kunstvollen Sprache, also in einer Art »Sprechgesang«. Unter »Ur-Koran« verstehen Muslime normalerweise den »himmlischen Koran« (die »Mutter des Buches« nach Sure 3,7 und 43,4 bzw. die »wohlverwahrte Tafel« nach 56,78f.). Nach allgemeiner Auffassung legte Allah seine Worte in arabischer Sprache in einem himmlischen Urexemplar des Koran fest und beauftragte den Engel Gabriel, diese Worte Mohammed in kleinen und größeren Abschnitten rezitierend »vorzutragen«. Mohammed habe sich diese Worte genau gemerkt und sie wiederum seinen Anhängern vorrezitiert. Diese hätten sie auswendig gelernt, allmählich angefangen, die Worte schriftlich festzuhalten, und nach dem Tod Mohammeds in einem Buch »gesammelt«.

Diese Lehre ist bemerkenswert. Offensichtlich konnte sich Mohammed schwer vorstellen, dass Allah direkt zu einem Menschen redet. Denn das würde ja bedeuten, dass Allah in menschlicher Sprache redet. Das aber würde die Lehre von der absoluten »Einsheit« Allahs in Frage stellen. Hier wird ein wesentlicher Unterschied zum biblischen Zeugnis deutlich. Gott ist »einer«, aber er sucht in seinem vielfältigen Reden die Gemeinschaft mit uns Menschen (vgl. Hebräer 1,1f.). Das Geheimnis des dreifaltigen und dreieinen Gottes leuchtet hier auf.

Obwohl es für Mohammed vermutlich ein Problem war, dass sie keine »heilige Schrift« in arabischer Sprache hatten, bemühten er und seine Anhänger sich nicht, die himmlischen Worte sofort aufzuschreiben, so dass mit dem Tod Mohammeds der Koran als Buch »fertig« gewesen wäre. Vielmehr blieb im Islam die mündliche Koranrezitation wichtiger als das geschriebene Buch. Viele Muslime lernten – und lernen – den gesamten Koran auswendig und tragen ihn kunstvoll vor. In Israel und in der Kirche Jesu Christi war das von Anfang an anders. Mose schrieb die von Gott empfangenen Weisungen in ein Buch, das »Buch des Bundes« (2.Mose 24,4 und 7). Auch die Wunder während der Wüstenwanderung sollte Mose in einem Buch festhalten (2.Mose 17,14). Durch das geschriebene Wort wurde Israel immer wieder an seinen Gott erinnert – an seine Wundertaten, an seine Bundeszusagen und an seine Bundesforderungen.

Schließlich fällt auf, dass der Koran weder eine inhaltliche noch eine zeitliche Ordnung hat. Nach der Überlieferung erhielt Mohammed die himmlischen Worte zwischen 610 und 632 n. Chr. Aus vielen Koranworten lassen sich Bezüge zum Lebenslauf Mohammeds herstellen. Es wäre also zu erwarten gewesen, dass die Anhänger Mohammeds sich die Koranworte in der Reihenfolge merkten, in der Mohammed sie ihnen »vortrug« und sie dann auch in dieser Reihenfolge aufschrieben. Das ist aber nicht geschehen. Eine zeitliche Ordnung ist nicht erkennbar. Man kann über die Gründe spekulieren, aber ich halte es für wichtig festzuhalten, dass dies im Alten Testament anders ist. Die 39 Bücher der »hebräischen Bibel« sind normalerweise entweder geschichtlich oder inhaltlich klar aufgebaut. Wenige Ausnahmen gibt es bei den prophetischen Büchern oder bei den Psalmen. Und auch bei der Anordnung der Bücher im »Kanon« – so unterschiedlich dieser sein konnte – wurde auf geschichtliche und inhaltliche Anordnung Wert gelegt. Hier wird deutlich, dass Israel ein ganz anderes Verständnis von Geschichte und göttlicher Ordnung entwickelte als der Islam.


2. Der frühe und der späte Koran

Nach der Überlieferung hat Mohammed die Koranworte zwischen 610 und 622 n. Chr. in seiner Heimatstadt Mekka und zwischen 622 und 632 in seinem Zufluchtsort Medina empfangen. In manchen Koranausgaben steht über jeder der 114 Abschnitte (Suren), welche Verse in Mekka und welche in Medina aus dem Himmel auf Mohammed »hernieder kamen«. Daran wird deutlich, dass die Mekka-Texte nicht in der ersten Hälfte und die Medina-Texte in der zweiten Hälfte stehen, sondern vermischt. Hinzu kommt, dass die langen Suren, die überwiegend aus der Medina-Zeit stammen, im Koran vorne stehen, und die kürzeren Mekka-Suren am Schluss.

Die frühen und die späten Koran-Passagen weisen gravierende Unterschiede auf. Die frühen Texte sind dichterisch-kraftvoll und haben religiöse Inhalte: die Dankbarkeit gegenüber Allah, das Hereinbrechen seines Gerichtstages, die Kritik am Götzendienst und die Aufforderung, allein Allah zu verehren. Die späten Texte sind oft langatmig, befassen sich mit gesetzlichen Bestimmungen, berichten von Kriegen und rufen zum Kampf gegen die Feinde der Muslime auf.

Da frühe und späte Texte ganz unterschiedliche Situationen im Leben Mohammeds widerspiegeln, ist es nicht verwunderlich, dass es manche inhaltlichen Spannungen bei den einzuhaltenden Vorschriften gibt. Das hat natürlich manche Fragen aufgeworfen. Gilt das Frühe oder das Späte? Die Rechtsgelehrten gehen normalerweise davon aus, dass frühe Bestimmungen nur vorläufig galten und die späten Vorschriften verbindlich sind. Konservative Muslime betonen, dass der Koran von Medina der endgültige, ewig geltende Koran ist. Liberale Muslime sehen das heute oft anders. Für sie ist der religiöse Islam von Mekka der wahre und für alle Zeit gültige Islam, während der politische und kämpferische Islam von Medina zeitbedingt war.

Wir kennen das Problem als Christen ansatzweise beim Verhältnis zwischen Altem und Neuem Testament. Viele Gebote, die für Israel galten, sind für uns nicht mehr relevant. Für unseren Gottesglauben aber hat das Alte Testament bleibende Bedeutung. Wir verstehen es jedoch von Jesus her. Während der frühe, friedliche Islam durch den kämpferischen Islam abgelöst worden ist, sind für uns die kriegerischen Texte des Alten Bundes durch die Versöhnungsbotschaft des Evangeliums abgelöst worden!


3. Der vereinheitlichte Koran

Kundige Muslime müssen zugeben, dass es einen Wort für Wort exakten Koran nie gegeben hat. Denn der heute auf Arabisch und in vielen Übersetzungen (Muslime sprechen von »Übertragungen«) weltweit verbreitete Koran wurde in seinem genauen Wortlaut erst vor etwa hundert Jahren festgelegt, als man ihn zum ersten Mal druckte. Bis dahin war er in verschiedenen »Lesarten« im Umlauf. Das hängt auch mit einer Eigentümlichkeit der arabischen Schrift zusammen. Bei ihr werden die kurzen Vokale normalerweise nicht geschrieben, sondern beim Lesen eines Textes hinzugefügt. Deshalb wurden die schriftlichen »Korane«, die man in großen Moscheen und Lehrstätten aufhob, zunächst nur mit Konsonanten und langen Vokalen geschrieben. Die kurzen wurden beim Rezitieren hinzugefügt, und dabei gab es verschiedene Möglichkeiten der »Vokalisierung«. Im Mittelalter hatten sich die muslimischen Gelehrten darauf verständigt, dass der Koran nur auf sieben verschiedene Weisen bei der Rezitation vokalisiert werden solle. Das war eine bedeutsame Einschränkung und Festlegung, aber immerhin gab man offen zu, dass es keinen einheitlichen Koranwortlaut gibt. Denn durch die unterschiedliche Vokalisierung konnten die Rezitationen einen unterschiedlichen Sinn bekommen. Als man den Koran zum ersten Mal druckte, musste man sich für eine bestimmte Vokalisierung und damit auch inhaltliche Festlegung entscheiden. Die kurzen Vokale wurden im Druck durch zusätzliche Zeichen markiert.

Die Vereinheitlichung geschah nicht nur für den vokalisierten Text, sondern auch für den Konsonantentext. Die islamischen Quellen – und nur diese gibt es zu diesem Thema – reden darüber sehr offen. Sie berichten, dass der erste Kalif, Abu Bakr, einen Muslim, der viele Koranworte auswendig kannte, damit beauftragte, die von Mohammed verkündigten Inhalte schriftlich festzuhalten. Er konnte dies damals nur mit Schriftzeichen für Konsonanten und lange Vokale tun und hatte außerdem das Problem, dass damals für einige Konsonanten ein und dasselbe Zeichen verwendet wurde. Dieser Text konnte also nur eine »Lesehilfe« für Leute sein, die den Text auswendig wussten. Ansonsten war er missverständlich und für unterschiedliche »Lesarten« anfällig. Eine offene Frage blieb, warum dieser Mann, Zaid, die überlieferten Rezitationen nicht zeitlich oder inhaltlich ordnete. Das größte Problem aber war, dass er nicht der Einzige war, der einen schriftlichen Koran verfasste. Es gab andere, die das von sich aus taten, und ihre Koran-Niederschriften wichen im Textbestand von der Zaids ab. Das führte zu unterschiedlichen Auslegungen, die politische Konsequenzen haben konnten. Deshalb soll der dritte Kalif, Osman (Uthmân), angeordnet haben, alle »Korane« außer dem Zaids zu vernichten. Der Koran Zaids wurden zum staatlich anerkannten Koran erklärt – aber die islamischen Quellen überlieferten alle Abweichungen von dem Koran Zaids. In den großen muslimischen Koran-Kommentaren werden diese »Varianten« zitiert und besprochen.

Einen irdischen »Ur-Koran« gibt es also streng genommen nicht, es sei denn, man sieht den staatlich verordneten Text Zaids als solchen an. Vielmehr hat der Korantext eine lange Geschichte der Vereinheitlichung hinter sich, wobei viele Fragen offen bleiben. Ein schwacher Punkt ist die »Unordnung« des irdischen Koran. Sollte der »himmlische Koran« auch so ungeordnet sein? Und was ist mit den vielen koranischen Anspielungen an das Leben Mohammeds, sogar an peinliche Episoden desselben? Sollte der himmlische Koran ein so »weltliches« Buch sein?


4. Koran und Altes Testament

Es ist ziemlich sicher, dass Mohammed nur seine arabische Muttersprache kannte. Es ist auch ziemlich sicher, dass es eine Übersetzung des Alten Testamentes in das von Mohammed gesprochene Mekka-Arabisch nicht gab. Woher bekam Mohammed dann aber seine Kenntnisse alttestamentlicher Geschichten? Die koranischen Anspielungen daran zeigen Ähnlichkeiten mit dem Talmud, der jüdischen Lehrtradition. Wir können davon ausgehen, dass die in Arabien lebenden und des Arabischen kundigen Juden im Gespräch mit Mohammed ihm manches sagten, was ihnen aus der jüdischen Lehrtradition bekannt war. Diese hatte sich jedoch erheblich vom Alten Testament entfernt. Durch die Übertragung aus dem Aramäischen ins Arabische mögen weitere Entstellungen hinzugekommen sein. Und schließlich hat Mohammed die von ihm gehörten Inhalte in seinen begrenzten Verstehenshorizont eingeordnet. Es ist kein Wunder, dass er manches falsch verstanden hat. Der Koran zeigt, dass Mohammed vor allem Stoffe aus der biblischen Urgeschichte (Adam und Eva, Noah), aus der biblischen Vätergeschichte (Abraham, Ismael, Isaak, Jakob, Josef) und aus der Mose-Geschichte gehört hat. Weite Bereiche des Alten Testaments finden im Koran kein Echo. Warum wurden die biblischen Erzählungen für Mohammed wichtig? In Mekka war Mohammed vielen Anfeindungen von Seiten seiner heidnischen Landsleute ausgesetzt. Sein religiöses Erneuerungswerk stand vor dem Scheitern. In dieser Situation suchte Mohammed Hilfe bei den Juden und Christen seiner Umgebung. Er verstand es so, dass Gott seine Propheten und Gesandten – Noah, Abraham, Mose und Jesus – zwar manchen Geduldsproben aussetzte, dass er ihnen am Ende aber immer zum Erfolg verhalf. Bei Jesus ist Mohammeds Umdeutung besonders gravierend. Nach dem Koran wollten die Juden Jesus töten, aber sie irrten sich und es schien ihnen nur so, als ob sie Jesus getötet hätten. Vielmehr nahm Allah Jesus zu sich (vgl. Sure 4,157f.). Aus diesen »Erfolgsgeschichten« schloss Mohammed, dass Allah auch ihm schließlich den Durchbruch zum Erfolg schenken werde. Die so verstandenen »biblischen« Geschichten wurden Mohammed zum Trost, und deshalb nahm er sie in islamisierter Form in seine Verkündigung auf.


5. Bibel und Koran – die Frage nach der Wahrheit

Manche christliche Theologen versuchen heute, die Verkündigung von Bibel und Koran als sich »ergänzende Botschaften« auf einen Nenner zu bringen und zu harmonisieren. Dies ist nur möglich, wenn man beide Bücher »entmythologisiert« und auf allgemeine Wahrheiten über einen fiktiven »Gott/Allah« und den Menschen reduziert. Damit werden aber weder Bibel noch Koran in ihren wirklichen Aussagen ernst genommen. Wer die Bibel und den Koran so stehen lässt, wie sie sich selbst verstehen, wird zu dem Schluss kommen müssen, dass Bibel und Koran trotz mancher – meistens scheinbarer – Gemeinsamkeiten im Kern gegensätzliche Botschaften verkündigen. Wenn die Bibel Gottes offenbartes Wort ist, dann kann Gott, der Gott Israels und Vater Jesu Christi, nicht im Koran reden.

Am deutlichsten wird dieser Unterschied am biblischen Zeugnis von Gott und dem koranischen Reden von Allah. Die Bibel bezeugt den treuen Bundesgott, auf dessen Zusagen Verlass ist und der seine Verheißungen im Kommen des Messias erfüllt hat. Der Koran dagegen verkündigt Allah als eine absolut freie und letztlich willkürliche Macht. Die Bibel bezeugt Gott als den persönlichen Gott, der in seinem Sohn Jesus Christus rettend in die Menschheit hineinwirkt und durch seinen Heiligen Geist die Herzen von Menschen bewegt. Der Koran dagegen redet von Allah als dem absolut einen und in sich einen, der keinen Kontakt mit Menschen hat und letztlich der Unbekannte bleibt. Die Bibel bezeugt Gott als den Barmherzigen, dessen Vergeben durch das Sühnopfer, im Neuen Bund durch das Opfer seines eingeborenen Sohnes, »gedeckt« ist und deshalb Gewissheit verleiht. Der Koran redet von Allahs Barmherzigkeit als von seiner Großzügigkeit im Gewähren von irdischen Gütern, im Offenbaren eines Weges zum Heil und im Vergeben gewisser Sünden, wenn der Mensch sich als Muslim abmüht – aber alles bleibt unter dem Vorbehalt »wenn Allah will«, also vage und ungewiss.

Im Licht des biblischen Wortes ist deshalb der Offenbarungsanspruch Mohammeds abzulehnen. Hinter Mohammeds Verkündigung müssen andere Mächte stehen. Angesichts der Polemik des Koran gegen die Dreifaltigkeit Gottes und gegen den gekreuzigten Gottessohn, angesichts aller Verdrehungen, Entstellungen und Verkürzungen zentraler biblischer Wahrheiten kann hinter Mohammed und dem Koran nur der »altböse Feind« und »Durcheinanderbringer«, der Versucher und Verführer der Menschen stehen, der Interesse daran hat, Menschen von dem einen Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, und seinem Heilswerk fernzuhalten. Die Beschäftigung mit dem Koran kann Christen nur dazu bewegen, Muslime zum Lesen der Bibel einzuladen und das Heilsangebot Gottes in Jesus Christus anzunehmen.

[ 1 ] Der Autor, Eberhard Tröger, ist Pfarrer im Ruhestand und ein ausgewiesener Islamkenner.



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Ins Netz gesetzt am 11.12.2009; letzte Änderung: 21.11.2018

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