Der Gott der Lebenden – nicht der Toten

von Ulrich Neuenhausen


"Im Himmel wird nicht gegessen und nicht getrunken. Es gibt kein Sex und kein Schlaf. Es wird vor allem Lobpreis praktiziert." Das hörte ich das erste Mal in meiner Jugendgruppe, und war einigermaßen überrascht. Es erinnert an eine Parodie von Ludwig Thoma über einen Münchner, der recht unglücklich im Himmel sitzt und auf einer Wolke mehr oder weniger schön die Harfe schlägt. Oder an die Diskussion mit meiner Frau, ob ich im Himmel noch mit ihr verheiratet sein werde. Diese Sicht auf den Himmel stammt unter anderem aus einer Diskussion, die Jesus mit einer jüdischen Sekte seiner Zeit führte, den Sadduzäern. Von ihnen weiß man nicht sehr viel, im Unterschied zu den Pharisäern, denn die Sadduzäer verschwanden nach der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 nach Christus von der Bildfläche. Außer in der Heiligen Schrift findet man noch Informationen bei einem Juden des ersten Jahrhunderts, nämlich Flavius Josephus. Folgendes Bild ergibt sich darauf hin: die Sadduzäer schätzten am Alten Testament vor allem die Fünf Bücher Mose, die Torah. Ansonsten waren es im Verhältnis zu den übrigen Juden eher Zweifler, die vor allem Mühe mit der Vorstellung von einer Auferstehung hatten. Im Israel der Zeit Jesu besaßen sie relativ viel Macht und stellten mindestens zum Teil den Hohepriester.

Die Sadduzäer konnten mit Jesus nicht viel anfangen. Sie wollten ihn loswerden, weil er ihre gute Beziehung zur römischen Besatzungsmacht gefährden könnte. Deshalb versuchten sie, ihn mit einer theologischen Frage in die Enge zu treiben.

Luk 20,27. Es kamen aber einige der Sadduzäer herbei, die einwenden, es gebe keine Auferstehung, und fragten ihn 28 und sagten: Lehrer, Mose hat uns geschrieben: Wenn jemandes Bruder stirbt, der eine Frau hat und ist kinderlos, daß sein Bruder die Frau nehme und seinem Bruder Nachkommenschaft erwecke. 29 Es waren nun sieben Brüder. Und der erste nahm eine Frau und starb kinderlos; 30 und der zweite 31 und der dritte nahm sie; ebenso aber auch die sieben, sie hinterließen keine Kinder und starben. 32 Zuletzt aber starb auch die Frau. 33 In der Auferstehung nun, wessen Frau von ihnen wird sie sein? Denn die sieben hatten sie zur Frau.

Diese Geschichte scheint den Sadduzäern ein unumstößlicher Beweis, dass eine Auferstehung keinen Sinn macht - sie würde alle menschliche und göttliche Ordnung auf den Kopf stellen, denn die Frau, von der erzählt wird, würde nach der Auferstehung polygam bzw. polyandrisch leben müssen, also mit mehrern Männern gleichzeitig verheiratet sein müssen. Da dies aber niemals Gottes Willen sein kann, darf es keine Auferstehung geben. Gott kann ja nicht sein eigenes Gesetz aufheben. Jesus kann die Frage, wessen Frau sie sein wird, also nur falsch beantworten oder er muss zugeben, dass es wohl keine Auferstehung geben wird.

Jesus geht aber auf die Frage der Pharisäer gar nicht ein. Er nennt keinen der Brüder als möglichen Partner für die siebenfache Witwe. Vielmehr antwortet er in zwei eigenen Gedankengängen:

  1. Die Sadduzäer irren, wenn sie meinen, dass das Leben hier im Leben "dort" einfach nur fortgesetzt wird. Luk 20,35 die aber, die für würdig gehalten werden, jener Welt teilhaftig zu sein und der Auferstehung aus den Toten, heiraten nicht, noch werden sie verheiratet; 36 denn sie können auch nicht mehr sterben, denn sie sind Engeln gleich und sind Söhne Gottes, da sie Söhne der Auferstehung sind. Die Vorstellung der Sadduzäer vom ewigen Leben ist eine Fortsetzung unseres jetzigen Lebens unter besseren Voraussetzungen. Es erinnert an die Paradiesvorstellung der Muslime, die mit einer großen Zahl von Jungfrauen Sex haben werden und aus einem Fluss mit Wein trinken dürfen. Jesus stellt klar, dass das keinen Sinn macht, weil nämlich die Menschen nicht mehr sterben werden. Und wenn sie nicht mehr sterben, dann ist auch die Vermehrung nicht mehr sinnvoll. Der ganze Rhythmus aus Geburt, Hochzeit und Tod existiert im Himmel nicht mehr. Es gibt kein Kommen und Gehen mehr, kein Verabschieden und Sterben mehr. Und deshalb gibt es auch keine Ehen mehr. Man darf sich das Leben im Himmel nicht wie ein Gespenst vorstellen, ein Geist oder eine Seele, die durch die Luft schwebt. Wir werden einen Körper haben, und wir werden sehr konkret leben, wie Paulus in 1. Kor 15 betont. Aber dieser Körper wird andere Bedürfnisse haben als unser jetziger Körper, er wird sich an anderen Dingen begeistern als an denen, die uns jetzt viel bedeuten, und er wird Freude ohne Einschränkung und ohne Angst vor dem Tod erleben.


  2. Jesus zitiert dann aus 2. Mose 3, einem Buch, dass die Sadduzäer sehr schätzen. Andere mögliche Argumente für die Auferstehung, wie etwa Ez 37, Jes 25,8, Dan 12,3 werden bewusst nicht von Jesus angeführt, da für die Sadduzäer vor allem die Torah maßgebend ist. Luk 20,37 Daß aber die Toten auferstehen, hat auch Mose beim Dornbusch angedeutet, wenn er den Herrn «den Gott Abrahams und den Gott Isaaks und den Gott Jakobs» nennt. 38 Er ist aber nicht Gott der Toten, sondern der Lebenden; denn für ihn leben alle.
  3. Gott erinnert Mose erst mal an das, was er schon für und mit Menschen gemacht und was er ihnen versprochen hat. Da es zu Mose Zeiten eine gute Auswahl an Göttern gab, musste Gott erst mal erklären, wer er eigentlich ist: Nämlich genau der, der mit Abraham, Isaak und Jakob gesprochen und ihnen ein Land versprochen hatte!

    Jesus führt dann eine zweite These ein, die von den Sadduzäern offensichtlich ohne Widerspruch akzeptiert wurde: Gott ist ein Gott der Lebendigen (nicht der Toten). Vielleicht grenzt er hier zu den Totengöttern Ägyptens und anderen ab, die in der Unterwelt leben und die Toten in Empfang nehmen. Vielleicht geht es nur darum, dass Gott so sehr Leben verkörpert, dass es einfach unvorstellbar ist, dass er sich mit seinem Namen an Menschen bindet, die für immer tot sein werden. Oder er möchte deutlich machen, dass Gott nicht Menschen etwas verspricht, um sich dann so zu verspäten, dass diese Menschen leider nicht mehr bekommen, worauf sie gewartet haben.

Für die Sadduzäer ist der Beweis aus der Heiligen Schrift auf jeden Fall ausreichend, denn sie wissen keine Argumente mehr gegen Jesus (Luk 20,40).

Deutlich wird: wer sich auf den lebendigen Gott einlässt, der kann gar nicht tot bleiben! Er muss leben, weil Gott seine Leute nicht im Tod lässt. Gott muss seine Versprechen wahr machen, weil alles andere gegen seine Ehre und gegen sein Wesen gehen würde. Unser Schwachsein, das Krank-Werden und das Sterben scheinen dem zu widersprechen. Und deshalb kämpfen Menschen wie besessen um jeden Zentimeter Gesundheit, um jeden Tag Leben auf dieser Erde, um jede Art von Freude und Stärkung. Misstrauisch sehen wir dem Tag des Sterbens entgegen, kaum etwas jagt uns so viel Angst und Hoffnungslosigkeit ein. Wer immer zu Gott gehört, kann jedoch nicht anders, als den Sterbetag überleben! Es muss ein Leben danach geben, denn Gott lebt und verleiht Leben.

Zwei Dinge werden mir dadurch klar:

  1. Ich bin auf der richtigen Seite. Wenn ich leben will, Leben suche, dann gibt es auf Dauer nur eine Adresse, bei der ich finde, was ich suche: Gott! Alles andere ist Schein, ist der Versuch, mir Leben vorzuspielen: Absicherung, Erfüllung, Freude, Frieden und Ruhe, langes Leben in Gesundheit, geordnete Verhältnisse – das alles darf in meinem Leben vorkommen, aber es ist nicht das Leben! Es ist Beiwerk, das jederzeit zusammenbrechen kann. Wenn Gott ein Gott der Lebendigen ist, und ich ein Kind Gottes, dann wird Gott es einfach nicht dulden, dass ich tot bleibe. Es muss eine Auferstehung geben, so wahr es Gott gibt. Der Tod konnte auch Jesus nicht im Grab halten. Das Leben, das Gott gibt, sprengt das Korsett des Todes!


  2. Wenn Gott nur ein Gott der Lebendigen sein kann, dann kann ich sogar mein Leben für ihn riskieren – weil ich es letztlich überhaupt nicht verlieren kann. Stellen Sie sich vor, Ihr Vater wäre einer der reichsten Männer der Welt. Sie sind gemeinsam unterwegs und halten an einem kleinen Restaurant. Ihr Vater bittet Sie, ihm das Geld für das Essen vorzulegen, da er kein Portemonnaie dabei hat. Und Sie? Sie werden ihm sagen, dass sie nicht bereit sind, ihm so viel zu geben, da sie selber nicht viel haben und noch etwas zur Sicherheit zurück halten wollen, dass es ja mal schlechtere Zeiten geben könnte, und sie lieber nicht zu viel ausgeben wollen, dass sie nicht genau wissen, ob sie das Geld in voller Summer wiederbekommen werden, und dass sie sich höchstens vorstellen könnten, unter gewissen Bedingungen eine Teilsumme vorzustrecken? Richtig: Das wäre verrückt! Denn Sie wissen, dass sie einen Tag später in Geld schwimmen können, wenn sie das möchten – ihr Vater hat es!

So ist das mit dem lebendigen Gott, dem Gott der Lebendigen: er hat eine Fülle von Leben, und jeder Versuch, unser kleines Leben hier ängstlich gegen mögliche Ansprüche Gottes abzuschotten, jede Freude mitzunehmen und möglichst um jede Stunde Leben zu feilschen, möglichst alles festzuhalten und nichts herzugeben, ist letztlich eine Beleidigung des lebendigen Gottes.

Meine Nachbarn fahren zwei wunderschöne Autos. Ihr Grundstück ist immer gepflegt, weil sie dafür sehr viel Zeit haben. Sie haben Muße zum Erholen, Spazieren gehen, Fernsehen gucken, was immer ihr Herz begehrt. Die Nachbarn zur anderen Seite können viermal im Jahr einen ausgedehnten Urlaub machen. Nur ich finde kaum Zeit, mein Haus instand zu halten, fahre einen alten Wagen und bin froh, wenn ich eine kostengünstige Urlaubsmöglichkeit entdecke. Soweit die menschliche Perspektive. Wie aber sieht es wirklich aus? Der Gott meiner Nachbarn ist der Mammon. Er ist so tot wie man nur sein kann, und meine Nachbarn gehen auf einem entsetzlichen Weg in eine entsetzliche Zukunft ohne Gott. Mein Gott ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Und dieser Gott hält so viel Leben für mich bereit, dass es meinen Verstand sprengt, mir das auszumalen. Vier mal Urlaub im Jahr wird mir dann wie ein Scherz vorkommen. Und deshalb habe ich jetzt schon gut lachen. Und da ich schon mal dabei bin: ich bin überzeugt, dass wir über unsere Bedenken, ob es im Himmel langweilig wird oder ob es nicht schade ist, wenn wir keine Ehe mehr leben, schallend und laut lachen werden, bis uns die Tränen kommen - weil es einmal aus der Perspektive des Himmels so unglaublich kleinkariert und witzig aussehen wird, dass Menschen Angst vor dem Leben selbst hatten.

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Copyright (C) 2004 by Ulrich Neuenhausen
Alle Rechte vorbehalten. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift PERSPEKTIVE Nr. 4/2004 Email: perspektive@christ-online.de
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Ins Netz gesetzt am 12.03.2005; letzte Änderung: 12.03.2005
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