Die Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Bibel1.0 Einführung1977 schlossen sich bibeltreue, evangelikale Theologen aus den USA und aller Welt zum Internationalen Rat für biblische Irrtumslosigkeit (International Council on Biblical Inerrancy, kurz ICBI) zusammen, um durch verschiedene Erklärungen dem wachsenden Einfluß von einschränkenden Ansichten der biblischen Inspiration im evangelikalen Bereich Einhalt zu gebieten. Außerdem wollte man sich darüber Rechenschaft ablegen, auf welchem Weg die Bibel angesichts ihres göttlichen Charakters angemessen ausgelegt werden kann. Der ICBI führte Konferenzen durch, veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche und allgemeinverständliche Bücher zur Bibel und diskutierte auf drei zentralen Tagungen insgesamt drei Chicago-Erklärungen, von denen an dieser Stelle die erste abgedruckt wird. Die beiden anderen behandeln die Frage der Hermeneutik (Chicago-Erklärung zur biblischen Hermeneutik, 1982) und die Anwendung dieses Schriftprinzipes im Alltag (Chicago-Erklärung zur biblischen Anwendung, 1986). Es ist erfreulich, daß die Kommissionsmitglieder aus aller Welt sich trotz unterschiedlicher Traditionen und Positionen nicht nur auf allgemeine Grundsätze einigen konnten, sondern bewiesen haben, daß die biblische Irrtumslosigkeit in der konkreten Auslegung differenziert und qualifiziert angewandt werden kann. Das Ergebnis dieser enormen Leistung sollte von vielen weiteren bibeltreuen Missionswerken, Bibelschulen, Seminaren und Gemeinden besser genutzt werden, zum Beispiel, indem sie diese Erklärung als Bekenntnisgrundlage in ihre Satzungen etc. aufnehmen, wie dies etwa mit der Grundlage der Evangelischen Allianz üblich ist. Es wäre begrüßenswert, wenn die Chicago-Erklärung auch im deutschsprachigen wie im angelsächsischen Bereich zu einem Markenzeichen werden könnten, das bibeltreue Christen und Werke miteinander verbindet. Für die Verwendung der Chicago-Erklärung sprechen vor allem folgende Gründe: 1. Bibeltreue wird hier nicht oberflächlich beschrieben, sondern im einzelnen so ausgeführt, daß viele kritische Rückfragen und Probleme - auch aus den eigenen Reihen - verantwortungsvoll beantwortet werden. 2. Bibeltreue wird hier nicht im Sinne einer bestimmten Konfession oder Denomination beschrieben, sondern auf eine sehr breite Basis gestellt, ohne daß dabei der Bekenntnischarakter und die Klarheit im Konkreten verloren gegangen ist, wie es bei Konsensdokumenten leicht der Fall ist. 3. Bibeltreue ist hier nicht der Feind guter, gründlicher - durchaus auch wissenschaftlicher - Arbeit an der Bibel. Zehn Jahre akademischer Arbeit und Diskussion stehen hinter diesem Versuch, der modernen Welt die Inspiration und Irrtumsloigkeit der Schrift zu erklären. 4. Die Erklärung wurde von bedeutenden bibeltreuen Theologen verfaßt, u.a.: Gleason L. Archer, Jay Adams, Greg Bahnsen, Henri A. G. Blocher, James M. Boice (Vorsitzender), Edmund P. Clowney, Charles L. Feinberg, Norman Geisler, Harold W. Hoehner, Kenneth Kanzer, James Kennedy, Samuel Külling, Gordon Lewis, Harold Lindsell, John F. MacArthur Jr., Josh D. McDowell, Warwick Montgomery, James I. Packer, Earl D. Radmacher, R. C. Sproul, John F. Walvoord. 2.1 VorwortDie Autorität der Schrift ist für die christliche Kirche in unserer wie in jeder Zeit eine Schlüsselfrage. Wer sich zum Glauben an Jesus Christus als Herrn und Retter bekennt, ist aufgerufen, die Wirklichkeit seiner Jüngerschaft durch demütigen und treuen Gehorsam gegenüber Gottes geschriebenem Wort zu erweisen. In Glauben oder Leben von der Schrift abzuirren, ist Untreue unserem Herrn gegenüber. Die Anerkennung der völligen Wahrheit und Zuverlässigkeit der Heiligen Schrift ist für ein völliges Erfassen und angemessenes Bekenntnis ihrer Autorität unerläßlich . Die folgende Erklärung bekennt erneut diese Irrtumslosigkeit der Schrift, indem sie unser Verständnis davon und unsere Warnung vor ihrer Verwerfung deutlich macht. Wir sind davon überzeugt, daß ihre Verwerfung bedeutet, daß man das Zeugnis Jesu Christi und des Heiligen Geistes übergeht und die Unterwerfung unter die Forderungen von Gottes eigenem Wort verweigert, die doch Kennzeichen wahren christlichen Glaubens sind. Wir sehen es als unsere zeitgemäße Pflicht an, dieses Bekenntnis angesichts des gegenwärtigen Abfalls von der Wahrheit der Irrtumslosigkeit unter unseren Mitchristen und der Mißverständnisse dieser Lehre in der Welt als Ganzes abzugeben. Die Erklärung besteht aus drei Teilen: einer zusammenfassenden Erklärung, den Artikeln des Bekennens und des Verwerfens und aus einer beigefügten Auslegung. Sie wurde im Rahmen einer dreitägigen Beratung in Chicago erarbeitet. Diejenigen, die die zusammenfassende Erklärung und die Artikel unterschrieben haben, möchten ihre eigene Überzeugung von der Irrtumslosigkeit der Schrift bekennen und sich gegenseitig und alle Christen zu wachsender Annahme und wachsendem Verständnis dieser Lehre ermutigen und herausfordern. Wir wissen um die Grenzen eines Dokuments, das in einer kurzen, intensiven Konferenz erarbeitet wurde und beantragen nicht, ihm das Gewicht eines Glaubensbekenntnisses zu verleihen. Dennoch freuen wir uns darüber, daß sich durch unsere gemeinsamen Diskussionen unsere Überzeugungen vertieft haben und wir beten, daß die Erklärung, die wir unterzeichnet haben, zur Verherrlichung unseres Gottes für eine neue Reformation der Kirche in ihrem Glauben, ihrem Leben und ihrer Mission gebraucht werden möge. Wir legen diese Erklärung nicht in einem streitsüchtigen Geist vor, sondern in einem Geist der Demut und Liebe, den wir in allen zukünftigen Gesprächen, die aus dem, was wir geäußert haben, entstehen, durch Gottes Gnade beibehalten möchten. Wir anerkennen erfreut, daß viele, die die Irrtumslosigkeit der Schrift verwerfen, die Konsequenzen dieser Verwerfung in ihrem übrigen Glauben und Leben nicht entfalten, und wir sind uns bewußt, daß wir, die wir uns zu dieser Lehre bekennen, sie in unserem Leben oft verwerfen, indem wir darin versagen, unsere Gedanken und Taten, unsere Traditionen und Gewohnheiten in wahre Unterordnung unter das göttliche Wort zu bringen. Wir laden jeden ein, auf diese Erklärung zu reagieren, der im Lichte der Schrift Gründe dafür sieht, die Bekenntnisse dieser Erklärung über die Schrift zu berichtigen, unter deren unfehlbarer Autorität wir stehen, während wir unser Bekenntnis niederlegen. Wir nehmen für das Zeugnis, das wir weitergeben, keine persönliche Unfehlbarkeit in Anspruch und sind für jeden Beistand dankbar, der uns dazu verhilft, dieses Zeugnis über das Wort Gottes zu stärken. 2.2 Zusammenfassende Erklärung1. Gott, der selbst die Wahrheit ist und nur die Wahrheit spricht, hat die Heilige Schrift inspiriert, um sich damit selbst der verlorenen Menschheit durch Jesus Christus als Schöpfer und Herr, Erlöser und Richter zu offenbaren. Die Heilige Schrift ist Gottes Zeugnis von seiner eigenen Person. 2. Die Heilige Schrift hat als Gottes eigenes Wort, das von Menschen geschrieben wurde, die vom Heiligen Geist zugerüstet und geleitet wurden, in allen Fragen, die sie anspricht, unfehlbare göttliche Autorität: Ihr muß als Gottes Unterweisung in allem geglaubt werden, was sie bekennt; ihr muß als Gottes Gebot gehorcht werden, in allem, was sie fordert; sie muß als Gottes Unterpfand in allem ergriffen werden, was sie verheißt. 3. Der Heilige Geist, der göttliche Autor der Schrift, beglaubigt sie sowohl durch sein inneres Zeugnis, als auch, indem er unseren Verstand erleuchtet, um ihre Botschaft zu verstehen. 4. Da die Schrift vollständig und wörtlich von Gott gegeben wurde, ist sie in allem, was sie lehrt, ohne Irrtum oder Fehler. Dies gilt nicht weniger für das, was sie über Gottes Handeln in der Schöpfung, über die Ereignisse der Weltgeschichte und über ihre eigene literarische Herkunft unter Gott aussagt, als für ihr Zeugnis von Gottes rettender Gnade im Leben einzelner. 5. Die Autorität der Schrift wird unausweichlich beeinträchtigt, wenn diese völlige göttliche Inspiration in irgendeiner Weise begrenzt oder mißachtet oder durch eine Sicht der Wahrheit, die der Sicht der Bibel von sich selbst widerspricht, relativiert wird. Solche Abweichungen führen zu ernsthaften Verlusten sowohl für den einzelnen, wie auch für die Kirche. 2.4 Kommentar zur Chicago-ErklärungUnser Verständnis der Lehre von der Irrtumslosigkeit muß in den größeren Zusammenhang der umfassenderen Lehre der Schrift über sich selbst gestellt werden. Dieser Kommentar legt Rechenschaft von den Grundlagen der Lehren ab, aus denen die zusammenfassende Erklärung und die Artikel gewonnen wurden. Schöpfung, Offenbarung und InspirationDer dreieinige Gott, der alle Dinge durch sein Schöpferwort bildete und alle Dinge nach seinem Ratschluß regiert, schuf die Menschheit zu seinem eigenen Bilde für ein Leben in Gemeinschaft mit ihm nach dem Vorbild der ewigen Gemeinschaft der von Liebe bestimmten Verbindung innerhalb der Gottheit selbst. Als Träger der Ebenbildlichkeit Gottes sollte der Mensch Gottes Wort, das an ihn gerichtet war, hören und in der Freude anbetenden Gehorsams darauf antworten. Über Gottes Mitteilung seiner selbst in der geschaffenen Ordnung und in der Abfolge der Ereignisse in ihr hinaus haben Menschen von Adam an verbale Botschaften von Gott empfangen, und zwar entweder direkt, wie in der Schrift ausgesagt, oder indirekt in Form eines Teiles oder der Ganzheit der Schrift. Als Adam sündigte, überließ der Schöpfer die Menschheit nicht dem endgültigen Gericht, sondern verhieß das Heil und begann, sich selbst in einer Folge von historischen Ereignissen als Erlöser zu offenbaren, deren Zentrum Abrahams Familie war und die ihren Höhepunkt in Leben, Tod, Auferstehung, gegenwärtigem himmlischem Dienst und verheißener Rückkehr Jesu Christi fanden. Innerhalb dieses Rahmens hat Gott von Zeit zu Zeit besondere Worte des Gerichts und der Gnade, der Verheißung und des Gebots zu sündigen Menschen gesprochen, um sie in eine Bundesbeziehung der gegenseitigen Verpflichtung zwischen ihm und ihnen hineinzunehmen, in der er sie mit Gaben der Gnade segnet und sie ihn als Antwort darauf preisen. Mose, den Gott als Mittler gebrauchte, um sein Wort zur Zeit des Auszugs seinem Volk zu überbringen, steht am Beginn einer langen Reihe von Propheten, in deren Mund und Schrift Gott sein Wort legte, um es an Israel weiterzugeben. Gottes Absicht mit dieser Abfolge von Botschaften war es, seinen Bund zu erhalten, indem er sein Volk veranlaßte, seinen Namen, das heißt sein Wesen, und seinen Willen in seinen Geboten und seinen Zielen für die Gegenwart und die Zukunft kennenzulernen. Diese Linie der prophetischen Sprecher Gottes fand ihren Abschluß in Jesus Christus, dem fleischgewordenen Wort Gottes, der selbst ein Prophet, mehr als ein Prophet, aber nicht weniger als ein Prophet war, und in den Aposteln und Propheten der ersten christlichen Generation. Als Gottes endgültige und auf den Höhepunkt zulaufende Botschaft, sein Wort an die Welt bezüglich Jesus Christus, gesprochen und von den Männern des apostolischen Kreises erläutert worden war, endete die Abfolge der Offenbarungsbotschaften. Von da an sollte die Kirche durch das von Gott bereits für alle Zeit Gesagte leben und Gott erkennen. Am Sinai schrieb Gott die Bedingungen seines Bundes als sein beständiges Zeugnis auf Steintafeln, damit es stets verfügbar sei. Auch während der Zeit der prophetischen und apostolischen Offenbarung veranlaßte er Menschen, die Botschaft, die er ihnen und durch sie gab, zusammen mit feierlichen Berichten über sein Handeln mit seinem Volk, ethischen Betrachtungen über das Leben in seinem Bund und Formen des Lobpreises und der Gebete für die Bundesgnade, aufzuschreiben. Die theologische Wirklichkeit der Inspiration bei der Entstehung der biblischen Dokumente entspricht der Inspiration der gesprochenen Prophetien: Obwohl die Persönlichkeit der menschlichen Schreiber in dem zum Ausdruck kommt, was sie schrieben, wurden die Worte doch von Gott festgelegt. Deswegen gilt, daß das, was die Schrift sagt, Gott sagt. Ihre Autorität ist seine Autorität, denn er ist ihr letztendlicher Autor, der sie durch den Geist und die Worte von auserwählten und zugerüsteten Menschen übermittelte, die in Freiheit und Treue "von Gott redeten, getrieben vom Heiligen Geist" (1Petr 1,21). Die Heilige Schrift muß Kraft ihres göttlichen Ursprungs als Gottes Wort anerkannt werden. Autorität: Christus und die BibelJesus Christus, der Sohn Gottes, der das fleischgewordene Wort, unser Prophet, Priester und König ist, ist der höchste Mittler der Botschaften und der Gnadengaben Gottes an den Menschen. Die von ihm gegebene Offenbarung bestand nicht nur aus Worten, da er ebenso in seiner Gegenwart und seinen Taten den Vater offenbarte. Dennoch waren seine Worte von entscheidender Bedeutung, da er Gott war, im Namen des Vaters sprach und weil seine Worte alle Menschen am letzten Tag richten werden. Als der geweissagte Messias ist Jesus Christus das zentrale Thema der Schrift. Das Alte Testament sah ihm entgegen, das Neue Testament schaut auf sein erstes Kommen zurück und seinem zweiten Kommen entgegen. Die kanonische Schrift ist das göttlich inspirierte und deswegen normative Zeugnis von Christus. Aus diesem Grund kann keine Hermeneutik, in der der historische Christus nicht der Brennpunkt ist, akzeptiert werden. Die Heilige Schrift muß als das behandelt werden, was sie wesentlich ist, nämlich das Zeugnis des Vaters von seinem fleischgewordenen Sohn. Es ist zu erkennen, daß der alttestamentliche Kanon zur Zeit Jesu feststand. Der neutestamentliche Kanon ist heute gleichermaßen abgeschlossen, und zwar deswegen, weil heute kein neues apostolisches Zeugnis vom historischen Jesus mehr abgelegt werden kann. Bis zur Wiederkunft Christi wird keine neue Offenbarung, (die vom geistgewirkten Verstehen der bereits vorhandenen Offenbarung zu unterscheiden ist), mehr gegeben werden. Der Kanon wurde prinzipiell durch die göttliche Inspiration geschaffen. Die Aufgabe der Kirche war es nicht, einen eigenen Kanon aufzustellen, sondern den Kanon, den Gott geschaffen hatte, festzustellen. Der Begriff Kanon bezeichnet eine Richtschnur oder Norm und weist auf Autorität hin, also auf das Recht, zu herrschen und zu gebieten. Im Christentum gehört die Autorität Gott in seiner Offenbarung, was einerseits Jesus Christus, das lebendige Wort, andererseits die Heilige Schrift, das geschriebene Wort, meint. Die Autorität Christi und die der Schrift sind jedoch eins. Als unser Prophet hat Christus bezeugt, daß die Schrift nicht zerrissen werden kann. Als unser Priester und König widmete er sein irdisches Leben der Erfüllung des Gesetzes und der Propheten und starb sogar im Gehorsam gegen die Worte der messianischen Weissagungen. So wie er die Schrift als Beglaubigung für sich und seine Autorität sah, beglaubigte er durch seine eigene Unterordnung unter die Schrift ihre Autorität. So wie er sich unter die in seiner Bibel (unserem Alten Testament) gegebenen Weisungen seines Vater beugte, erwartete er dies auch von seinen Jüngern, nicht jedoch isoliert vom apostolischen Zeugnis über ihn selbst, sondern im Einklang mit diesem, dessen Inspiration er durch seine Gabe des Heiligen Geistes bewirkte. Christen erweisen sich somit dadurch als treue Diener ihres Herrn, daß sie sich unter die göttlichen Anweisungen in den prophetischen und apostolischen Schriften, die zusammengenommen unsere Bibel ausmachen, beugen. Indem Christus und die Schrift sich gegenseitig ihre Autorität beglaubigen, verschmelzen sie zu einer einzigen Quelle der Autorität. Von diesem Standpunkt aus sind der biblisch interpretierte Christus und die Bibel, welche Christus in den Mittelpunkt stellt und ihn verkündigt, eins. So wie wir aus der Tatsache der Inspiration schließen, daß das, was die Schrift sagt, Gott sagt, können wir aufgrund der offenbarten Beziehungen ebenso bekennen, daß das, was die Schrift sagt, Christus sagt. Unfehlbarkeit, Irrtumslosigkeit, AuslegungEs ist angemessen, die Heilige Schrift als das inspirierte Wort Gottes, das autoritativ von Jesus Christus zeugt, als unfehlbar und irrtumslos zu bezeichnen. Diese negativen Ausdrücke sind von besonderem Wert, weil sie ausdrücklich positive Wahrheiten sichern. Der Begriff unfehlbar bezieht sich auf die Qualität, daß etwas weder in die Irre führt, noch irregeleitet ist und schützt so kategorisch die Wahrheit, daß die Heilige Schrift ein gewisser, sicherer und zuverlässiger Grundsatz und eine Richtschnur in allen Dingen ist. In ähnlicher Weise bezeichnet der Begriff irrtumslos die Qualität, daß etwas frei von allen Unwahrheiten oder Fehlern ist, und schützt so die Wahrheit, daß die Heilige Schrift in allen ihren Aussagen vollständig wahr und zuverlässig ist. Wir bekräftigen, daß die kanonische Schrift immer auf der Grundlage ihrer Unfehlbarkeit und Irrtumslosigkeit ausgelegt werden sollte. Wenn wir jedoch feststellen wollen, was der von Gott unterwiesene Schreiber in jedem Abschnitt aussagt, müssen wir dem Anspruch der Schrift und ihrem Charakter als menschlichem Erzeugnis die größtmögliche Aufmerksamkeit widmen. Gott gebrauchte in der Inspiration die Kultur und die Gebräuche der Umwelt des Schreibers, eine Umwelt, über die Gott in seiner souveränen Vorsehung Herr ist. Etwas anderes anzunehmen, heißt falsch auszulegen. So muß Geschichte als Geschichte behandelt werden, Dichtung als Dichtung, Hyperbel und Metapher als Hyperbel und Metapher, Verallgemeinerungen und Annäherungen als das, was sie sind etc. Unterschiede zwischen den literarischen Konventionen in biblischen Zeiten und in unserer Zeit müssen ebenfalls beachtet werden: wenn zum Beispiel nichtchronologische Erzählungen und ungenaue Zitierweise damals üblich und akzeptabel waren und den Erwartungen in jenen Tagen nicht widersprachen, dürfen wir diese Dinge nicht als Fehler ansehen, wenn wir sie bei den biblischen Schreibern finden. Wenn eine bestimmte, vollständige Präzision nicht erwartet oder angestrebt wurde, ist es kein Irrtum, wenn sie nicht erreicht worden ist. Die Schrift ist irrtumslos, aber nicht im Sinne einer absoluten Präzision nach modernem Standard, sondern in dem Sinne, daß sie ihre eigenen Ansprüche erfüllt und jenes Maß an konzentrierter Wahrheit erreicht, das seine Autoren beabsichtigten. Die Zuverlässigkeit der Schrift wird nicht dadurch unwirksam gemacht, daß sie Unregelmäßigkeiten der Grammatik oder der Rechtschreibung, beobachtende Beschreibungen der Natur, Berichte von falschen Aussagen (zum Beispiel der Lügen Satans) oder scheinbare Widersprüche zwischen zwei Abschnitten enthält. Es ist nicht recht, das äußere Erscheinungsbild der Schrift der Lehre der Schrift über sich selbst entgegenzustellen. Augenscheinliche Unstimmigkeiten sollten nicht ignoriert werden. Lösungen dafür, wenn sie auf überzeugende Art gefunden werden können, werden unseren Glauben stärken. Wo im Moment keine überzeugende Lösung zur Hand ist, sollen wir Gott in besonderer Weise ehren, indem wir seiner Zusicherung vertrauen, daß sein Wort trotz dieser Erscheinungen wahr ist und indem wir das Vertrauen festhalten, daß diese Unstimmigkeiten sich eines Tages als Täuschungen erweisen werden. Insofern die ganze Schrift nur einem einzigen göttlichen Geist entspringt, muß sich die Auslegung innerhalb der Grenzen der Analogie der Schrift halten und Hypothesen meiden, die einen biblischen Abschnitt mit Hilfe eines anderen korrigieren, ganz gleich, ob dies im Namen der fortschreitenden Offenbarung oder mit Hinweis auf die unvollkommene Erleuchtung des Denkens der inspirierten Schreiber geschieht. Obwohl die Heilige Schrift nirgends in dem Sinne kulturgebunden ist, daß ihre Lehren keine universale Gültigkeit besitzen, ist sie doch manchmal von den Bräuchen und den traditionellen Anschauungen einer bestimmten Zeit geprägt, so daß die Anwendung ihrer Prinzipien heute eine andere Handlungsweise erfordert. Skeptizismus und Kritizismus Seit der Renaissance und insbesondere seit der Aufklärung wurden Weltanschauungen entwickelt, die Skeptizismus gegenüber grundlegenden christlichen Wahrheiten beinhalten; so etwa der Agnostizismus, der die Erkennbarkeit Gottes leugnet, der Rationalismus, der die Unbegreiflichkeit Gottes leugnet, der Idealismus, der die Transzendenz Gottes leugnet und der Existentialismus, der jede Rationalität in Gottes Beziehung zu uns leugnet. Wenn diese un- und antibiblischen Prinzipien auf der Ebene der Denkvoraussetzungen in die Theologien von Menschen eindringen, was sie heute häufig tun, wird eine zuverlässige Auslegung der Heiligen Schrift unmöglich. Überlieferung und ÜbersetzungDa Gott nirgends eine unfehlbare Überlieferung der Schrift verheißen hat, müssen wir betonen, daß nur der autographische Text der Originaldokumente inspiriert ist und die Notwendigkeit der Textkritik festzuhalten, als Mittel zum Aufdecken von Schreibfehlern, die sich im Laufe der Textüberlieferung in den Text eingeschlichen haben könnten. Das Urteil dieser Wissenschaft lautet jedoch folgendermaßen: es stellte sich heraus, daß der hebräische und griechische Text erstaunlich gut erhalten ist, so daß wir mit gutem Recht mit dem Westminster-Bekenntnis die einzigartige Vorsehung Gottes in dieser Frage bekräftigen können und erklären, daß die Autorität der Schrift in keiner Weise durch die Tatsache, daß die Abschriften nicht völlig ohne Fehler sind, in Frage gestellt wird. In ähnlicher Weise ist keine Übersetzung vollkommen und kann es nicht sein; alle Übersetzungen sind ein zusätzlicher Schritt fort von den Autographen. Die Sprachwissenschaft urteilt jedoch, daß zumindest Englisch sprechende Christen in diesen Tagen mit einer großen Zahl von ausgezeichneten Übersetzungen außerordentlich gut versorgt sind und ohne Zögern davon auszugehen können, daß das wahre Wort Gottes für sie erreichbar ist. Angesichts der häufigen Wiederholung der wesentlichen Themen in der Schrift, mit denen sie sich beschäftigt und auch aufgrund des ständigen Zeugnisses des Heiligen Geistes für und durch das Wort wird keine ernsthafte Übersetzung der Heiligen Schrift ihre Bedeutung so zerstören, daß sie unfähig wäre, ihre Leser "weise zum Heil durch den Glauben an Christus Jesus zu machen" (2Tim 3,15). Irrtumslosigkeit und AutoritätMit unserer Bekräftigung der Autorität der Schrift, die ihre völlige Wahrheit einschließt, stehen wir bewußt mit Christus und seinen Aposteln, ja mit der ganzen Bibel und dem Hauptstrom der Kirchengeschichte von der ersten Zeit bis in die jüngste Vergangenheit in Einklang. Wir sind davon betroffen, mit welcher Gleichgültigkeit, Unachtsamkeit und scheinbaren Gedankenloskeit in unseren Tagen von so vielen ein Glaube mit solch weitreichender Bedeutung aufgegeben wird. Wir sind uns auch der großen und schwerwiegenden Verwirrung bewußt, die die Folge davon ist, wenn man aufhört, die ganze Wahrheit der Schrift festzuhalten, deren Autorität man anzuerkennen erklärt. Die Folgen dieses Schrittes sind, daß die Bibel, die Gott gab, ihre Autorität verliert und was stattdessen Autorität hat, ist eine Bibel, die in ihrem Inhalt nach den Forderungen des eigenen kritischen Denkens reduziert wurde und prinzipiell immer weiter reduziert werden kann, wenn man erst einmal damit angefangen hat. Das bedeutet, daß nun im Grunde die Vernunft im Gegensatz zur biblischen Lehre die Autorität hat. Wenn man dies nicht erkennt, und wenn man für den Moment noch grundlegende evangelikale Lehren festhält, mögen solche, die die volle Wahrheit der Schrift verwerfen, immer noch eine evangelikale Identität in Anspruch nehmen. Methodisch gesehen haben sie sich jedoch längst von dem evangelikalen Prinzip der Erkenntnis hin zu einem unsicheren Subjektivismus entfernt, und es wird ihnen schwer fallen, sich nicht noch weiter davon zu entfernen. Wir bekennen, daß das, was die Schrift sagt, Gott sagt. Ihm gebührt alle Ehre. Amen, ja Amen.
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