Einleitung in die Johannesbriefe



Zur Briefform

Der 2. und 3. Johannesbrief tragen deutlich den Charakter eines antiken hellenistischen Briefes. Von der Länge her füllen sie jeweils ein Papyrusblatt. Der 1. Johannesbrief ist dagegen erheblich länger. Aufällig ist, daß sowohl der Briefkopf mit Absender- und Adressatenangabe als auch der Briefschluß fehlen. Letztlich wissen wir nicht, wodurch dieses Fehlen begründet ist. Dennoch ist auch der 1. Johannesbrief ein Brief, den der Verfasser in eine bestimmte Situation hineinschreibt.


Der Verfasser

In keinem der drei Johannesbriefe nennt der Verfasser seinen Namen. Während er sich im 2. und 3. Johannesbrief als »der Älteste« vorstellt, fehlt im 1. Johannesbrief jede Absenderangabe. Der Verfasser verweist auf den Anfang, an dem er als Augen- und Ohrenzeuge teilnahm (1. Johannes 1, 1-4; 4,14). Gemeint ist damit die Sendung Jesu Christi als Heiland der Welt. Der Verfasser gibt sich so als ein Jünger Jesu zu erkennen. Der Ehrentitel »der Älteste« verweist auf eine bei den Empfängern bekannte und anerkannte Autorität, so daß sich der Verfasser nicht namentlich vorstellen muß.

Alle drei Briefe verweisen durch die sprachliche und inhaltliche Verwandtschaft, und zwar zwischen dem 1. und 2. Johannesbrief einerseits und dem 2. und 3. Johannesbrief andererseits, auf denselben Autor. Der sprachliche Stil verrät den Verfasser als einen aus Palästina stammenden Juden, obwohl er in gutem Griechisch schreibt.

Diese wenigen Angaben aus den Briefen erlauben uns noch nicht, den Verfasser mit einiger Sicherheit zu identifizieren. Wir sind deshalb auf weitere Informationen angewiesen. Die altkirchliche Tradition sieht im Verfasser überwiegend den Apostel Johannes, den Sohn des Zebedäus (sicher zuerst Irenäus um 180 nach Christus). Papias scheint dagegen einen Presbyter Johannes von dem Apostel Johannes zu unterscheiden; doch ist das Verständnis des Textes umstritten.

Die Johannesbriefe sind in kurzem zeitlichen Abstand voneinander gegen Ende des 1. Jahrhunderts geschrieben worden.


Die Adressaten

Der 2. Johannesbrief ist an eine einzelne Gemeinde gerichtet, die als »auserwählte Herrin und ihre Kinder« umschrieben wird. Demgegenüber richtet sich der 3. Johannesbrief an eine Privatperson, Gajus, die uns nicht näher bekannt ist.

Der 1. Johannesbrief richtet sich wahrscheinlich an einen Kreis christlicher Gemeinden in einem begrenzten Gebiet, vermutlich in Kleinasien. Darauf verweisen auch die altkirchlichen Zeugnisse, welche die Stadt Ephesus als Wirkungsstätte des Apostels Johannes nennen. Diese Gemeinden befinden sich in gleicher Lage. Sie haben sich mit einer sie bedrohenden Irrlehre auseinandersetzen müssen. Der Höhepunkt der Krise ist bereits überschritten, die Irrlehrer sind entlarvt und bekannt (1. Johannes 2,19; 4,4). Aber ihr gefährlicher Einfluß ist noch nicht gebrochen. Es gibt unter den Gemeindegliedern noch einige, die unsicher und anfällig gegenüber den falschen Lehren sind.


Zweck der Briefe

Weil die Gemeinden noch durch Irrlehrer gefährdet sind, schreibt Johannes seinen ersten Brief. Die Auseinandersetzung mit den Irrlehrern durchzieht den ganzen Brief. Am deutlichsten sichtbar wird dies in 1. Johannes 2, 18-27 und 4, 1-6

Positiv geht es Johannes darum, die Gemeindeglieder im Glauben zu stärken, sie zur brüderlichen Liebe aufzufordern und ihnen die Gewißheit der Gottesgemeinschaft und ihres Heils zu vermitteln. Johannes greift verhältnismäßig wenige, aber für den Glauben grundlegende Themen auf. Daraus ergibt sich der um einzelne Gedanken kreisende Stil des 1. Johannesbriefs. Der Verfasser kommt auf bestimmte Themen mehrfach zurück, vertieft sie und führt sie weiter.


Die bekämpfte Irrlehre

Unter den Auslegem ist bis heute umstritten, was für eine Irrlehre die Gemeinden bedroht, mit der sich der 1. Johannesbrief auseinandersetzt. Häufig geht man davon aus, daß es sich um die Gnosis handele. Die Gnostiker meinten, sich durch ihre Erkenntnis (griechisch: gnosis) gegenüber den gewöhnlichen Gemeindechristen bzw. Glaubenden erheben zu können und eine höhere Stufe des Christseins erreicht zu haben. Doch bevor man die Irrlehrer vorschnell als Gnostiker bezeichnet, ist zu bedenken, daß wir bis heute keine vorchristliche Gnosis kennen. Aus der alten Kirche ist uns die Gnosis erst aus dem 2. Jahrhundert in der Form christlicher gnostischer Schulen bekannt. Es scheint mir deshalb historisch unangemessen, diese gnostischen Systeme als Hintergrund in die neutestamentliche Zeit zu übertragen. Wir sollten uns vielmehr bei der bekämpften Irrlehre auf die Aussagen beschränken, die sich tatsächlich aus den Texten der neutestamentlichen Schriften ergeben, und diese nicht durch spätere Vorstellungen ergänzen.

Wenn wir in einzelnen neutestamentlichen Schriften (zum Beispiel in den Korintherbriefen, den Pastoralbriefen oder auch den Johannesbriefen) auf einzelne mit der Gnosis verwandte Vorstellungen stoßen, die von den neutestamentlichen Verfassern als Irrlehren bezeichnet und bekämpft werden, ist dies nicht verwunderlich. Denn die Gnosis speist sich aus christlichen und jüdisch-apokalyptischen und jüdisch-weisheitlichen Traditionen, die mit Gedanken der hellenistischen Philosophie verbunden werden.

Die Irrlehrer im 1. und 2. Johannesbrief sind meines Erachtens keine Gnostiker. Sie stammen aus der Gemeinde (1. Johannesbrief 2,19). Sie vertreten erstens falsche Aussagen über Jesus Christus. Johannes betont in seinen Briefen, daß Christus wahrhaft Mensch geworden ist (4,2), daß er durch sein Blut, durch seinen Kreuzestod, Sühne geschaffen hat und daß er der einzigartige Gottessohn ist. Daraus läßt sich schließen, daß gerade dieses von den Irrlehrern bestritten wurde. Sie leugnen, daß Jesus der Christus ist (2,22f). Sie meinen, des stellvertretenden Sühnetodes Christi nicht zu bedürfen, weil sie nicht mehr sündigen (1,10).

Daraus ergibt sich ein zweites Kennzeichen der Irrlehrer. Sie wähnen sich als Pneumatiker, als Geistbegabte, den anderen Christen überlegen und blicken hochmütig auf sie herab (4,1ff). Demgegenüber ist es für die Glaubenden wichtig, die Geister zu prüfen und zu unterscheiden.

Drittens fühlen sie sich durch Gebote nicht verpflichtet (2, 4; 3,10.24); sie brauchen sie nicht mehr. Demgegenüber wirft ihnen Johannes irrige Anschauungen über den christlichen Lebenswandel vor. Im Zentrum seiner ermahnenden ethischen Aussagen steht die Bruderliebe, die für ihn eine Konsequenz der erfahrenen Liebe Gottes, des Wesens Gottes selbst ist (3, 16-18; 4, 7f. 19-21). Deshalb wird die Bruderliebe zu einem Unterscheidungskennzeichen der Kinder Gottes von den Irrlehrern, den Kindern des Teufels (3, 10).

Johannes betont nachdrücklich gegenüber den Irrlehrern, daß Gotteserkenntnis und Wandel im Licht, in der Bruderliebe, untrennbar sind und daß Gott im Mensch gewordenen Jesus seine Liebe, durch die er unsere Sünden tilgt, offenbart hat.

© 1989 Dr. Wilfried Haubeck



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Ins Netz gesetzt am 15.03.2006; letzte Änderung: 29.05.2013
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