Wachsende und sterbende Brüdergemeinden

von Ralf Kaemper

Um das Schwerpunktthema "Wachsende und sterbende Brüdergemeinden" ging es bei der Klausurtagung der Bruderrates der Arbeitsgemeinschaft der Brüdergemeinden (AGB) bei ihrer diesjährigen Klausurtagung in Rehe (7. – 9. März 2003). Da der Bruderrat regional besetzt ist, sollten möglichst viele unserer Gemeinden deutschlandweit im Blick sein. Dabei wurde deutlich, dass es Grund zum Danken, aber auch problematisches Situationen in unserem Gemeindenkreis gibt. Dies betrifft besonders kleinere Gemeinden in Strukturschwachen Regionen. Viele junge Geschwister ziehen weg, weil sie keine Arbeit finden. Darunter leiden dann auch die Gemeinden, die keinen Nachwuchs haben und überaltern. Der Bruderrat will nach Möglichkeit helfend unterstützen. Er will mit "Herz und Ohr am Pulsschlag der Gemeinden sein um ihre Bedürfnisse und Nöte wahrzunehmen."

Zur Beurteilung unserer Situation in Deutschland war ein Blick über den Tellerrand nach England hilfreich. Horst Engelmann wies in einer Einführung darauf hin, dass jede Woche in England eine Brüdergemeinde stirbt. Zwischen 1959 und 1998 hat sich die Zahl der Brüdergemeinden in Großbritannien von 1551 auf 1106 Gemeinden verringert. Das betrifft besonders kleine und überalterte Gemeinden. Während kleinere Gemeinden geschlossen wurden, sind größere dagegen gewachsen.

Die Gründe für den Rückgang wurden in Großbritanien bereits mehrfach analysiert (verschiedene Bücher darüber liegen vor). U.a. fand man folgende Gründe dafür:

Schwache geistliche Leitung: es mangelt an effektiver Leitung mit Vision, die relevant auf die Herausforderungen der Umgebung eingeht.

Unwilligkeit, der nachfolgenden Generation Verantwortung zu geben: Man traut der nachwachsenden Generation wenig zu. Viele ältere Leiter waren nicht bereit, jüngere an Leitungsaufgaben zu beteiligen. Daher wanderten viele fähige Leute zu anderen Gemeinden ab.

Überbewertung der Tradition: Formen des gottesdienstlichen Lebens wurden mit dem Neuen Testament gleichgesetzt. Man merkte nicht, dass diese Formen Ausdruck geistlichen Lebens einer bestimmten Zeitepoche waren. Während die Bedeutung der Brüdergemeinden zu ihrer Gründerzeit für ihr Umfeld groß war, hat man es später versäumt, sich immer wieder neu zu reformieren.

Wenig Möglichkeiten zur Beteiligung von Frauen am Gemeindeleben: Manchmal haben Familien Brüdergemeinden verlassen, weil die Frauen nicht mehr damit klar kamen. Andere haben sich um ihrer Töchter willen sich anderen Gemeinden angeschlossen.

Geistlicher Stolz: In manchen Gemeinden herrschte die Überzeugung: Brüdergemeinden sind sowieso am biblischsten. Daher brauche man nicht dazulernen und jede Veränderung erschien unnötig. Man meinte, wenn man die richtige (neutestamentliche) Form hat, dann komme auch das geistliche Leben von ganz allein.

Zu starke Betonung der Unabhängigkeit der Ortsgemeinde: Man glaubte, auch die kleinste Ortsgemeinde habe alle für das Gemeindeleben nötigen Gaben bekommen und man brauche keine Hilfe von außen. Dadurch vernachlässigten manche den Kontakt zu anderen Brüdergemeinden und evangelikalen Gruppen.

Zu wenig seelsorgerliche Begleitung: Manche hatten die Vorstellung, dass ein gestandener Christ keine schwerwiegenden geistliche Probleme habe. Gemeindeglieder mit größeren seelsorgerlichen Fragen wanderten zum Teil in andere Gemeinden ab.

Als Kennzeichen von wachsenden Gemeinden wurde u.a. genannt:

  • Jugendarbeit: 89% der wachsenden Gemeinden haben Jugendarbeit aber nur 11% der schrumpfenden.

  • Ausgewogene Altersstruktur: Wachsende Gemeinde haben eine gute Balance in den verschiedenen Altersgruppen, die schrumpfenden haben ein hohes Durchschnittsalter.

  • Gäste kommen in den Gottesdienst: Wachsende Gemeinden gestalten ihre Gottesdienste so, dass Gäste regelmäßig kommen, in schrumpfenden Gemeinden bleiben die Gemeindeglieder unter sich.

  • Hauskreise sind fester Bestandteil des Gemeindelebens: in 70 % der wachsenden Gemeinden aber nur in 25 % der schrumpfenden.

  • Wachsende Gemeinden haben Kontakte zu anderen evangelikalen Gemeinden.

  • Größere Gemeinden wachsen eher als kleinere: 51% der kleinen Gemeinden sind weiter geschrumpft, immerhin 31 % der größeren ebenfalls.

  • Wachsende Gemeinden haben viele verschiedene evangelistische Aktivitäten: wachsenden Gemeinden haben mehr Gäste-, Familien- und Jugendgottesdienste, mehr Mütter- und Kind-Kreise als schrumpfende Gemeinden.

  • Wachsende Gemeinden senden Langzeitmissionare aus: 70% der wachsenden Gemeinden senden Missionare aber nur 24% der schrumpfenden.

Folgende Notwendigkeiten für die Zukunft werden von Leitern wachsender Gemeinden gesehen:

  • Geistliche Erneuerung und Vertiefung des geistlichen Lebens: Vor allem junge Menschen suchen nach bedeutsamen geistlichen Erfahrungen.

  • Verstärkte Motivation der Gemeindeglieder zur Mitarbeit ist nötig: Die tatsächliche Umsetzung des allgemeinen Priestertums aller Glaubenden ist weiterhin eine große Herausforderung.

  • Ermutigung zum Gebrauch der geistlichen Gaben: Die Leitung einer Ortsgemeinde sollte dazu ermutigen, diese Gaben zu entdecken, zu entwickeln und einzusetzen.

  • Eine nach vorne orientierte Leitung, die Sicht und Inspiration vermittelt.

  • Gute Seelsorge: gemeindeorientiert und professionell.

  • Kulturrelevante Evangelisation: Gottesdienste, die das Evangelium vermitteln und kreative Wege, kirchendistanzierte zu erreichen.

Diese Erkenntnisse aus Großbrittanien decken sich weitgehend mit dem, was der Bruderrat aus unseren deutschen Gemeinden wahrgenommen hat. Viele entspricht auch den Ergebnissen der Umfrage zum Thema "Wachstumsfördernde und – hindernde Faktoren in Brüdergemeinden, die die AGB 1997 durchgeführt. Der Bruderrat arbeitet weiter an diesem Thema um Maßnahmen und Hilfen für unsere Gemeinden zu finden.


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Copyright (C) 2003 by Ralf Kaemper. Alle Rechte vorbehalten.
Mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift der Brüdergemeinden "PERSPEKTIVE" Nr. 4/2003 entommen.
Dieses Papier ist ausschließlich für den persönlichen Gebrauch bestimmt.
URL: http://www.efg-hohenstaufenstr.de/downloads/bg/bg_wachsende_sterbende.html
Ins Netz gesetzt am 12.06.2003; letzte Änderung: am 30.01.2017

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